811II. Das Armenwesen. 229
Handelt es sich um die Zerstreuung eines Volksauflaufs oder Tumults oder um die
Auflösung einer Volksversammlung, so muß, bevor zur Anwendung der Waffen geschritten
wird, die versammelte Volksmenge zuvor dreimal zum ruhigen Auseinandergehen aufgefordert
worden sein.
Dem Militär ist zu jeder Zeit, auch ohne vorherige Requisition und Androhung
des Waffengebrauches bei Ausübung des Wacht= oder Patrouillendienstes oder sonst wäh-
rend der Dienstleistung zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicher-
heit der Gebrauch der Waffen aus eigenem Rechte gestattet: 1) zur Abwehr eines Angriffes
und Ueberwältigung eines Widerstandes, 2) zur Erzwingung des ihm schuldigen Gehorsams
bei Aufforderung zur Ablegung der Waffen u. drgl., 3) zum Schutze der seiner Begleitung
anvertrauten Personen oder Sachen, 4) zur Vereitelung der Flucht von Gefangenen.
Jedoch darf zu dem Gebrauch der Schußwaffe nur geschritten werden, wenn hierzu ein
besonderer Befehl ertheilt worden ist oder die anderen Waffen als unzureichend erscheinen.
Besondere Bestimmungen bestehen über den Gebrauch der Waffen durch Grenz-
aufsichtsbeamtem.
Der Schaden, welcher dadurch verursacht worden ist, daß im Bezirke einer Ge-
meinde von einer größeren zusammengerotteten Menge, oder von einer bewaffneten oder
unbewaffneten Vereinigung Mehrerer mit offener Gewalt Verbrechen gegen Personen oder
das Eigenthum verübt worden sind, hat die Gesammtheit der Bewohner der Gemeinde nach
näherer Maßgabe des hierüber bestehenden Gesetzes?) und unter Vorbehalt des Rückgriffes
auf die Thäter zu ersetzen.
Ueber die Verbindlichkeit zur Entschädigung und die Größe derselben sowie, bei Be-
theiligung mehrerer Gemeinden, über die Vertheilung unter dieselben entscheiden die bürger-
lichen Gerichte.
Der einer Gemeinde zugewiesene Schadenersatz wird aus der Gemeindekasse bezahlt
und von dieser zum Theil nach Köpfen, zum Theil nach dem Steuerkapital umgelegt.
Aeußerstes Mittel zur Aufrechthaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit
ist die Erklärung des Kriegszustandes. Die Reichsverfassung bestimmt hierüber in Art. 68:
„Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist,
einen jeden Theil desselben in Kriegszustand erklären. Bis zum Erlaß eines die Voraus-
setzungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung regeln-
den Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851.“
Ob und inwieweit daneben noch die Landesgesetze über Kriegszustand und Stand-
recht 9) in Kraft bestehen, ist zweifelhaft, kann aber für Baden mit Rücksicht auf die Militär-
konvention hier dahin gestellt bleiben.
II. Kapitel.
Das Verwaltungesrecht des physischen Lebens.
§ 111. I. Das Armenwesen"). Das Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 über den Unter-
stützungswohnsitz“) ist in Folge R.G. vom 8. Nov. 18715) mit dem 1. Jan. 1873 auch im
Großherzogthum Baden in Kraft getreten.
1) Ges. v. 28. Aug. 1835, Reg. Bl. Nr. XXXIX, S. 251.
2) Ges. v. 13. Febr. 1851, Reg. Bl. Nr. XIV, S. 155.
S 3) Bad. Ges. v. 29. Jan. 1851, den Kriegszustand betr. u. das Standrecht betr., Reg. Bl. Nr. VI,
39 u. 43.
4) Wielandt, Gemeinderecht II, 2. Aufl. — Insbesondere über das frühere badische Armen-
recht, s. das. die Einleitung.
5) Nehige Fassung desselben auf Grund der Novelle v. 12. März 1894, s. R.G.B. 1894,
Nr. 9, S. 2 6) R.G. B. Nr. 45, S. 391.