Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

230 Sechster Abschnitt: Die Landesverwaltung. II. Kapitel. 8111. 
Auf den gleichen Tag hat ein Landesgesetz vom 14. März 18721) den wichtigsten 
Theil des bis dahin giltigen badischen Gesetzes über die öffentliche Armenpflege vom 5. Mai 
1870 5 aufgehoben. 
Dieses Gesetz hat hiernach nur noch den Charakter eines Ausführungsgesetzes zu dem 
Reichsgesetze. 
Als dem besonderen badischen Rechte angehörig ist Folgendes hervorzuheben: 
1. Die öffentliche Armenpflege ist ausdrücklich als ein Theil der inneren Verwaltung 
erklärt, sonach als eine ihrer Natur nach staatliche Aufgabe. 
2. Bezüglich der zu unterstützenden Persönlichkeiten ist als Voraussetzung des Ein- 
tretens der öffentlichen Armenpflege ausdrücklich hervorgehoben, daß sie dauernd oder vor- 
übergehend außer Stand seien, aus eigenen Mitteln oder durch eigene Kräfte sich den noth- 
dürftigen Unterhalt selbst zu verschaffen, und daß sie solchen nicht von zur Leistung 
desselben rechtlich verpflichteten Dritten oder durch die freiwillige Armenpflege erhalten. 
Verweisung an dritte Verpflichtete ist nicht zulässig, wenn der Unterstützungsbedürf- 
tige sich in einer Lage befindet, welche alsbaldige Hilfeleistung erfordert. 
Ein verwaltungsgerichtlich klagbares Recht des Hilfsbedürftigen auf Unterstützung 
besteht nicht ). 
3. Haben dritte Personen, ohne dazu verpflichtet zu sein, einem Unterstützungsbedürf- 
tigen Hilfe geleistet, so stehen ihnen unter der Voraussetzung, daß die Hilfeleistung dringend 
nöthig war, ein Anspruch auf Ersatz des durch die Umstände gebotenen Aufwands") aus 
Mitteln der öffentlichen Armenpflege zu, aber nur dann, wenn die Armenbehörde von der 
Hilfeleistung sobald als möglich in Kenntniß gesetzt wird. Außerdem beginnt der An- 
spruch auf Ersatz erst mit dem Tage der geschehenen Anzeige. 
Aerzte und Apotheker haben einen Anspruch auf den Bezug der geordneten Gebühren 
und Taxen aus Mitteln der öffentlichen Armenpflege auch dann, wenn sie zur Hilfeleistung 
öffentlich rechtlich verpflichtet sind. 
Wo jedoch die Armenverbände vertragsmäßig bestimmte Aerzte und Apotheker zur 
Dienstleistung für Arme bestellt haben, steht anderen Aerzten und Apothekern der erwähnte 
Anspruch nur dann zu, wenn sie in einem dringenden Falle die erforderliche Hilfe geleistet 
haben. 
Der Anspruch verjährt in zwei Jahren 5). 
4. Ueber den Umfang der Armenpflege ist bestimmt: 
„Der verpflichtete Armenverband hat dem Unterstützungsbedürftigen den unentbehr- 
lichen Unterhalt nach Maßgabe des Bedürfnisses und unter Verwendung der etwa vorhan- 
denen Arbeitskraft zu gewähren, insbesondere Sorge zu tragen für Erziehung, Unterricht 
und Erwerbsbefähigung der Kinder, für ärztliche Behandlung und Verpflegung der Kranken 
und für die Bestreitung des Begräbnisses. 
Die Organe der öffentlichen Armenpflege sind vorbehaltlich der Staatsgenehmigung 
ermächtigt, für die öffentlichen Armenanstalten Hausordnungen zu erlassen, durch welche 
den Vorstehern eine Disziplinarstrafgewalt bis zu zwei Tagen Einsperrung übertragen wer- 
den kann. 
Nach Maßgabe der genehmigten Hausordnung üben jene Organe oder die mit der 
unmittelbaren Leitung einer Anstalt Beauftragten über die darin aufgenommenen Personen 
die Hausdisziplin. 
1) G. u. V. Bl. Nr. XI, S. 135. 2) G.u. V. Bl. Nr. XXXII, S. 387. 
3) Arm. Gef. 58§ 1—4, 21. 
3 Des vollen Aufwandes, nicht nur des tarifmäßigen. 
5) Arm. Ges. 88 6, 7.
	        
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