l151. Die Kirchen und die kirchlichen Vereine. 300
Aber es darf aus dem Grunde der „Gottesverehrung“ ebenso wenig wie aus dem
der „Gewissensfreiheit“ eine durch die allgemeinen Staatsgesetze verbotene Handlung be-
gangen, wie eine durch die allgemeinen Staatsgesetze gebotene Handlung unterlassen werden.
Desgleichen kann Niemand verlangen, daß wegen seiner Gottesverehrung ein Anderer eine an
und für sich erlaubte Handlung unterlasse oder eine ihm sonst gesetzlich nicht gebotene Hand-
lung vornehme. In dieser Beziehung ist jedoch durch einzelne Bestimmungen (insbeson-
dere jene über die Sonntagsfeier) den religiösen Anschauungen der überwiegenden Mehr-
heit der Bevölkerung Rechnung getragen. Endlich steht es dem Staate zu, aus Gründen
der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Wohles gewisse Formen der Gottesverehrung!)
im Einzelfalle zu untersagen oder an besondere Bestimmungen zu knüpfen.
3. Die Bildung religiöser Vereine ist gestattet. Jedem steht frei, an jeden
ihm beliebigen religiösen Verein sich anzuschließen. Näheres hierüber s. u.
4. Der Grundsatz der Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
vom Religionsbekenntniß, bezüglich der öffentlichen Aemter auch in V. U. 88 9 und 19
enthalten, leidet in Baden eine einzige, auch nur vorübergehende, Ausnahme hinsichtlich
des Bürgergenusses der Israeliten.
Selbstverständlich werden durch diesen Grundsatz der Rechtsgleichheit diejenigen,
für einzelne Einrichtungen und Rechtsverhältnisse gemäß deren besonderen Zwecken be-
stehenden Bestimmungen nicht berührt, nach welchen zur Erlangung gewisser (kirchlicher
oder konfessioneller) Aemter oder zur Theilnahme an gewissen Einrichtungen (z. B. kirch-
lichen oder konfessionellen Stiftungen) der Besitz einer bestimmten Religionseigenschaft vor-
geschrieben ist.
§ 151. II. Die Kirchen und die kirchlichen Vereine. A. Allgemeine Grundsätze.
Im Allgemeinen gilt auch für die Religionsgemeinschaften, daß sie, was ihre Rechtsverhält-
nisse und ihre Lebensäußerungen betrifft, der staatlichen Ordnung unterthan sind. Denn auf
dem Gebiete des Rechtes kann es nur eine Herrschaft geben, die des Staates. Es darf deshalb,
so wenig wie der Einzelne, eine Religionsgemeinschaft als Ganzes sich unter Berufung auf
ihre eigene Lehre, Anschauung oder Verfassung mit der Staatsordnung in Widerspruch setzen.
Anderseits folgt aus dem Wesen des Rechtsstaates und aus dem Begriffe der Persönlichkeit,
hier insbesondere in Verbindung mit dem Grundsatze der Sicherung der religiösen Freiheit,
daß der Staat der freien Entwickelung auch den Religionsgemeinschaften nur soweit Schran-
ken zu setzen hat, als dies im Interesse der Staatsgesammtheit geboten ist. Auf diesen Grund-
sätzen beruht auch die derzeitige badische Gesetzgebung über die rechtliche Stellung der Kirchen
und kirchlichen Vereine im Staate, insbesondere das Hauptgesetz über diesen Gegenstand, jenes
vom 9. Okt. 1860#2). Dasselbe gestaltet jedoch im Einzelnen die rechtliche Stellung der Reli-
1) Z. B. Prozessionen, Missionen.
2) Dieses Gesetz ist eine Folge des Scheiterns der im Jahr 1859 mit dem pöpstlichen Stuhle
vereinbarten Konvention. „Zur Regelung der Angelegenheiten der katholischen Kirche im Großherzog=
thum“ und zum Abschlusse des langjährigen Kirchenstreites hatte die großherzogliche Regierung mit
dem päpstlichen Stuhle Verhandlungen pflegen lassen und es war unter dem 28. Juni 1859 eine
Vereinbarung zu Stande gekommen, der der Großherzog „in Anbetracht, daß die durch sie der katho-
lischen Kirche eingeräumte größere Selbständigkeit in der Leitung ihrer Angelegenheiten Unser unver-
äußerliches obersthoheitliches Schutz= und Auffichtsrecht nicht beeinträchtigt, unter dem Vorbehalt der
ständischen Zustimmung zur Aenderung der der Vereinbarung entgegenstehenden Gesetzesbestimmungen
die höchste Genehmigung ertheilt“ hatte. Sie wurde am 5. Dez. 1859 in Reg. Bl. 1859, Nr. LX,
S. 441, bekannt gegeben mit der Bemerkung, daß die Ministerien, jedes in seinem Geschäftskreise,
mit der Einleitung und Anordnung des Vollzugs beauftragt seien.
Kurz zuvor, am 25. Nov. 1859, war sie den Kammern „zur Kenntnißnahme“ vorgelegt worden.
Nach eingehenden und lebhaften Verhandlungen beschloß jedoch die Zweite Kammer am 30. März
1860 mit großer Mehrheit eine Adresse an den Großherzog, in welcher sie ihre Ueberzeugung dahin
aussprach, „daß durch den ohne ständische Zustimmung abgeschlossenen Vertrag das Verhältniß der