Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

310 Sechster Abschnitt: Die Landesverwaltung. IV. Kapitel. 8 152. 
gionsgemeinschaften verschieden mit Rücksicht auf deren verschiedene Wichtigkeit und seit- 
herige Stellung. Hiernach sind folgende Gruppen zu unterscheiden: 
a) die vereinigte evangelisch-protestantische und die römisch-katholische Kirche; 
b) die übrigen bis zur Erlassung des Gesetzes vom 9. Okt. 1860 im Großherzogthum 
aufgenommenen oder geduldeten Religionsgemeinschaften; 
I) andere religiöse Vereine. 
Sie haben sämmtlich zum Mindesten das Recht der freien, d. h. nach ihren eigenen 
Anschauungen und Ordnungen sich richtenden, nicht vom Staate gebotenen und der gemein- 
samen, d. h. auf den ganzen Kreis ihrer Gemeinschaftsangehörigen sich ausdehnenden, nicht 
auf den häuslichen Kreis sich beschränkenden Gottesverehrung und sind in ihrer Thätigkeit, 
abgesehen von der auch ihnen obliegenden Beobachtung der allgemeinen Staatsgesetze, insoweit 
frei und von der Einwirkung der Staatsgewalt unabhängig, als nicht die Staatsgesetze 
eine Beschränkung enthalten. 
§ 152. B. Rechtliche Stellung der vereinigten evangelisch-protestantischen und der 
römisch -katholischen Kirche. I. Gemeinsames. Die vereinigte evangelisch-protestantische und 
die römisch-katholische Kirche sind in ihrer rechtlichen Stellung im Verhältniß zu anderen 
Religionsgenossenschaften theils bevorrechtet, theils beschränkt; unter sich erscheinen sie als 
grundsätzlich gleichberechtigt. Im Einzelnen gilt Folgendes: 
I. Beiden Kirchen ist das Recht öffentlicher Korporationen — welches ihnen schon 
seither zugestanden — ausdrücklich gewährleistet, d. h. der Staat erkennt sie nicht nur als 
Inhaber von Vermögensrechten (juristische Person im privatrechtlichen Sinne), sondern 
auch als Sammtpersönlichkeiten an, welche öffentliche, d. h. solche Aufgaben verfolgen, die 
auch er als die seinen anerkennt. Diese Gewährleistung ist diesen Kirchen als solchen, 
als organischen Gesammtheiten, so wie sie zur Zeit der Erlassung des Gesetzes vom 9. Okt. 
1860 gestaltet waren, aber doch nur soweit sie innerhalb des Großherzogthums bestehen, 
zu Theil geworden. Der Staat hat also bei ihnen von vornherein anerkannt, daß weder 
ihre Verfassung noch ihr Bekenntniß, noch ihre Zwecke, wie solche damals gestaltet und 
innerhalb des Badischen Staates wirksam waren, den Staatsgesetzen oder der Sittlichkeit 
widersprechen. 
Ausflüsse dieses Rechtscharakters der Kirchen als öffentlicher Korporationen sind: 
1. daß das Verhältniß ihrer Mitglieder in dieser Eigenschaft zu diesen Korpo- 
rationen oder zu ihren Organen und folgeweise die Rechte und Verpflichtungen 7), 
katholischen Kirchengewalt im Staate nicht geordnet werden könne, und daß diese Ordnung durch 
Vereinbarung mit den Ständen erfolgen müsse. 
Sie könne daher, obwohl fie den lebhaften Wunsch hege, daß die Rechte der Kirchengewalt 
nach dem Grundsatze der Freiheit und Selbständigkeit der katholischen Kirche bestimmt werden möchten, 
soweit dies sich mit dem Staatswohl verträgt, das ohne Vorbehalt der ständischen Zustimmung ver- 
einbarte Vertragswerk für die großherzogliche Regierung und für das Land nicht als rechtsverbindlich 
abgeschlossen anerkennen“ und stellte auf Grund des § 67 d. V. U. an den Großherzog die Bitte: 
die Verordnung v. 5. Dez. 1859 mit der Vereinbarung v. 28. Juni 1859 „außer Wirksamkeit 
zu setzen bezw. nicht in Wirksamkeit treten zu lassen“. 
In Folge dieses Beschlusses und beschleunigt durch ein auf dasselbe bezügliches Rundschreiben 
des Präfidenten des Ministeriums des Innern, trat am 2. April 1860 ein Ministerwechsel ein. Am 
7. April 1860 erließ der Großherzog die verheißungsvolle Osterproklamation, in der er „aus der 
Tiefe des Herzens Friedensworte an sein theures Volk richtete“. Es ist darin der „entschiedene Wille 
ausgesprochen, daß der Grundsatz der Selbständigkeit der katholischen Kirche in Ordnung ihrer An- 
gelegenheiten zur vollen Geltung gebracht werde. — Den Grundsätzen getreu, welche für die katholische 
Kirche Geltung erhalten sollen, werde er darnach streben, der evangelisch-protestantisch-unirten Landes- 
kirche auf der Grundlage ihrer Verfassung eine möglichst freie Entwickelung zu gewähren“ (Reg. Bl. 
1860, Nr. XVI, S. 85). 
Diese Zusage ist durch das Gesetz v. 9. Okt. 1860 erfüllt, gleichzeitig das I. (Kirchen-) Kon- 
stitutionsedikt v. 14. Mai 1807 aufgehoben worden. 
1) Wahlrechte, Steuerverpflichtungen.
	        
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