Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

§ 154. Kirchliche Besteuerung. 321 
I. Voraussetzungen der kirchlichen Besteuerung. 
Zur Bestreitung der örtlichen kirchlichen Bedürfnisse können die Kirchengemeinden 
von ihren Angehörigen Steuern (Umlagen) fordern, für deren Erhebung die Hilfe der 
Staatsgewalt unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Ge- 
setzes gewährt wird. 
Als örtliche kirchliche Bedürfnisse sind jedenfalls anzusehen: 
1. Unterhaltung und Neubau der Pfarrkirchen und Pfarrhäuser; 
2. Anschaffnung und Unterhaltung der nach den Satzungen oder Gebräuchen jeder 
Kirche für den Pfarrgottesdienst, für kirchliche Feierlichkeiten der Gemeinde und für die 
Ausübung der anderweiten seelsorgerlichen Verrichtungen nöthigen Geräthschaften und sonstigen 
Erfordernisse; . 
3. Belohnung der sogenannten niederen kirchlichen Bediensteten (Küster, Orga— 
nisten 2c.). 
Für Ausstattung neu zu errichtender geistlicher Aemter ist eine Besteuerung durch 
die Kirchengemeinde nur mit Genehmigung der obersten Staatsbehörde statthaft 0. 
Kirchliche Steuern dürfen nur erhoben werden, wenn und soweit für die betreffen- 
den Bedürfnisse weder ein privatrechtlich Verpflichteter einzutreten hat, noch die Bestrei- 
tung aus eigenem Vermögen der Kirchengemeinde, oder aus Mitteln von Stiftungen geschehen 
kann, an welchen der Kirchengemeinde bezw. deren Angehörigen Genußrecht zusteht. 
Wo nach diesem Gesetz ein Beschluß der versammelten Kirchengemeindegenossen ver- 
langt wird, gelten als stimmberechtigt (nach näherer Maßgabe des Gesetzes) alle im Voll- 
besitz der Rechtsfähigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte befindlichen, mindestens 25 Jahre 
alten, männlichen Angehörigen des betreffenden Bekenntnisses, welche im Kirchspiel ihren 
dauernden Aufenthalt haben und eine selbständige Lebensstellung einnehmen. 
Auf Personen, welche einem Militärkirchenverband angehören, findet dieses Gesetz 
keine Anwendung. 
Die Befugnisse der Kirchengemeinde werden durch die Kirchengemeindeversammlung 
ausgeübt; die Wahrnehmung dieser Befugnisse erfolgt in denjenigen Gemeinden, welche 
80 oder mehr Gemeindegenossen zählen, durch eine von den letzteren gewählte Gemeinde- 
vertretung. 
Wahlberechtigt und wählbar zu derselben sind die stimmberechtigten Gemeinde- 
genossen. 
Für die Erhebung einer kirchlichen Steuer bedarf es regelmäßig eines auf Vorschlag 
der Behörde, welche das örtliche Kirchenvermögen verwaltet, gefaßten Beschlusses der Kirchen- 
gemeindeversammlung bezw. der Gemeindevertretung. Ein solcher Beschluß hat sowohl den 
durch Umlage aufzubringenden Betrag als die Art der Verwendung zu bestimmen. Der- 
selbe unterliegt der staatlichen Genehmigung. 
Das Vermögen der Kirchengemeinden — einschließlich der Steuerforderungen bezw. 
der aus kirchlichen Steuern eingegangenen Summen — bildet einen Bestandtheil des ört- 
lichen Kirchenvermögens. 
Wo nach diesem Gesetz eine Kirchengemeindeversammlung bezw. eine Gemeinde- 
vertretung in Thätigkeit treten muß, bedürfen ihrer Zustimmung eine Reihe von wich- 
tigeren Beschlüssen der das örtliche Kirchendermögen verwaltenden Behörde. 
Wenn eine Kirchengemeinde, in welcher eine Gemeindevertretung bestellt ist, kirchliche 
Steuern nicht zu erheben hat, kann sowohl die obere kirchliche als die staatliche Behörde, 
1) Für die evangelische Landeskirche ist nach den Beschlüssen der Generalsynode von 1894 auch 
die Entschädigung für die Ablösung der Stolgebühren als örtliches kirchliches Bedürfniß in Aussicht 
genommen. 
Handbuch des Oeffentlichen Rechts II. 2. Aufl. Baden. 21
	        
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