820. Stellvertretung des Großherzogs. 31
gilt dies von der Person und den Rechten des neuen Souveräns. Die Entsagung kann
also nicht zu Gunsten einer bestimmten Person, die nicht ohnedies der Thronfolger wäre
— weil hierdurch die Erbfolgeordnung verletzt würde —, nicht bedingt und nicht theil-
weise —, weil hierdurch dem Grundsatz der Einheit und Untheilbarkeit der Souveränetät
widersprochen würde — geschehen. Der Entsagende mag sich persönlich gewisse Titel und
Ehren vorbehalten — oder richtiger, sie können ihm vom neuen Souverän beigelegt werden,
nie aber Regierungsrechte. Rechtlich tritt der Entsagende in die Stellung eines Unterthanen
und eines Prinzen des großherzoglichen Hauses.
i 20. III. Stellvertretung des Großherzogs. Eine Stellvertretung für den Groß-
herzog kann eintreten entweder auf Grund der eigenen Willenshandlung desselben oder als
Nothwendigkeit, durch die Thatsache geboten, daß der Großherzog aus Gründen, deren
Beseitigung außerhalb seines Willens liegt, außer Stande ist, die Regierung zu führen
oder auch nur für deren Führung Vorsorge zu treffen. In den Fällen der ersten Art,
der Stellvertretung i. e. S., ist die Person des Stellvertreters, Zeitdauer und Umfang
seiner Befugnisse, mindestens im Allgemeinen, je nach den Verhältnissen der besonderen
Veranlassung durch die Entschließung des Großherzogs selbst bezeichnet. Diese Stellver-
tretung bezieht sich regelmäßig nur auf die Ausübung der Regierungsgewalt. Die An-
ordnung derselben wie die Wiederaufhebung ist eine Regierungshandlung, die der Gegen-
zeichnung eines verantwortlichen Ministers bedarf. Der Stellvertreter handelt nur im
Namen des Staatsoberhauptes 7).
In den Fällen der zweiten Art hat eine Stellvertretung des Staatsoberhauptes im
vollen Umfange — eine Regentschaft — einzutreten. Der Regent handelt im eigenen
Namen?).
Ueber beide Arten der Stellvertretung fehlt es in Baden an ausdrücklichen Gesetzes-
bestimmungen. Als dem älteren Rechte, dem Herkommen in dem großherzoglichen Hause
und den Anforderungen des heutigen konstitutionellen Staatslebens am meisten entsprechend
können die Bestimmungen erachtet werden, welche der dem Landtag von 1861/1863 vor-
gelegte Entwurf eines Regentschaftsgesetzes — in der Fassung, wie er aus den Berathungen
der Kommission der Ersten Kammer hervorgegangen ist — vorgeschlagen hatte.
1) So bei der i. J. 1889 in Folge der Erkrankung des Großherzogs Friedrich erfolgten
Uebertragung der „Vertretung in den Regierungsgeschäften“ „für die Dauer der Behinderung" des
Großherzogs an den Erbgroßherzog (G. u. V. Bl. 1881, Nr. XXVI, S. 269), und der Wieder-
übernahme der Regierung durch den Großherzog selbst 1882 (G. u. V. Bl. Nr. XXXI, S. 315).
Für kürzere Zeiträume ist auch die Erweiterung der Vollmachten des Staatsministeriums erfolgt.
2) So der Großherzog Friedrich zunächst als Prinz und Regent. S. o.
3) Landt. 1861/1863 Erst. K. 1. Beil. U. S. 198, 272. Der Entwurf kam nicht zur Berathung
in der Kammer selbst, zunächst deshalb nicht, weil damals die für die Berathung und Beschluß-
8 über Verfassungsänderungen erforderliche Zahl der Mitglieder der Ersten Kammer nicht vor-
anden war.
Die Vorschläge, in der Fassung der Kommission, gingen dahin:
I. Eine Regentschaft tritt ein:
1. wenn der Großherzog das 18. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hat;
zind epwenn er durch andere Ursachen an der eigenen freien Ausübung der Regentengewalt ver-
indert ist.
II. Das Recht zur Führung der Regentschaft richtet sich nach der Erbfolgeordnung des groß-
herzoglichen Hauses.
Nach den Prinzen des großherzoglichen Hauses und vor den durch § 3 des Hausgesetzes vom
4. Okt. 1817 berufenen Prinzen treten jedoch der Reihe nach in die Regentschaft ein:
Die Gemahlin des Großherzogs, dessen Mutter und dessen Großmutter väterlicher Linie.
Wiederverheirathung oder Scheidung zerstören das Recht derselben auf die Regentschaft.
Ausnahmsweise kann auf Antrag der großherzoglichen Regierung durch ein vorsorgendes Ge-
setz für den einzelnen Fall die Regentschaft abweichend von der regelmäßigen Successionsordnung
bestimmt werden.