Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

8 30. Zusammensetzung der Ersten Kammer. 51 
jeder einzelnen derselben zum Vollzuge kommen a) in ihren eigenen inneren Angelegenheiten!), 
b) bei Beschwerden und anderen Vorstellungen an den Großherzog — mit einiger Beson- 
derheit bei den Bitten um Vorlage eines Gesetzes —, sowie bei Ministeranklagen. Hier- 
über s. u. 
Hinsichtlich ihrer Verhandlungen und Beschlußfassungen bildet jede Kammer eine für 
sich bestehende Versammlung. Sie können nicht zusammentreten; sie beschränken sich in 
ihrem Verhältniß zu einander auf die gegenseitige Mittheilung ihrer Beschlüsse). Beide 
stehen einander rechtlich gleich und haben in der Hauptsache die nämliche Geschäftsbehand- 
lungsweise. Es steht daher der Wahl der großherzoglichen Staatsregierung frei, an welche der 
beiden Kammern sie eine Vorlage zunächst gelangen lassen will. Ausnahmen von diesen Grund- 
sätzen bestehen bezüglich der Finanzsachen, der Beschwerden wegen Verletzung der Verfassung 
oder verfassungsmäßigen Rechte und der Ministeranklagen 2). Ueber diese Ausnahmen s. u. 
Nothwendige allgemeine Eigenschaften eines Mitgliedes der einen oder anderen Kammer 
find: a) Badische Staatsangehörigkeit"); b) männliches Geschlecht; c) zum Mindesten das 
Alter der Volljährigkeit; d) Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte 5). Niemand kann ferner 
gleichzeitig Mitglied beider Kammern sein. Zur thatsächlichen Ausübung der Mitglied- 
schaft zu einer der Kammern ist endlich nothwendig, daß weder ein körperliches noch ein 
geistiges Gebrechen das Mitglied an der Theilnahme an den landständischen Verhand- 
lungen hindere; denn „die Mitglieder beider Kammern können ihr Stimmrecht nicht anders 
als in Person ausüben“. 
§ 30. B. Zusammensetzung der Ersten Kammer. Die Erste Kammer besteht: 
1. aus Mitgliedern, welche durch ihre Geburt zum Eintritt in diese Kammer berufen 
sind. Es sind dies: 
a) die Prinzen des großherzoglichen Hauses; 
b) die Häupter der standesherrlichen Familien. Von denjenigen standesherrlichen 
Familien, die in mehrere Zweige sich theilen, ist das Haupt eines jeden Familienzweiges, 
der im Besitze einer Standesherrschaft sich befindet, Mitglied der Ersten Kammer?). 
Den Standesherren gleich stehen in dieser Beziehung die Häupter solcher adeliger 
Familien, welchen etwa der Großherzog eine Würde des hohen Adels verleiht, voraus- 
gesetzt, daß sie das hierzu erforderliche Stamm= oder Lehengut besitzen 7). 
Die Prinzen des großherzoglichen Hauses und die Standesherren treten nach erlang- 
ter Volljährigkeit in die Ständeversammlung ein?). 
2. Aus Mitgliedern, welchen diese Eigenschaft kraft ihres Amtes zukommt, nämlich: 
dem katholischen Landesbischof oder in Ermangelung eines solchen dem Bisthumsverweser 
und einem vom Großherzog auf Lebensdauer ernannten Geistlichen der evangelisch-pro- 
testantischen Landeskirche mit dem Range eines Prälaten 10). 
1) Geschäftsordnung, Prüfung der Legitimation der Mitglieder, Wahl des Präsidenten rc. 2c. 
74 
V. U. S 74. 
2) V. U. § 75. 3) V. U. §§ 60, 61, 67, 67aà —67f, 70 e, 74. 
4) Bezüglich der Standesherren s. o. § 12. 5) R. Str. G. B. 9§§ 32—34. 
6) V. U. 8 47. 
7) V. U. 5§ 27, 28. Auch bei den Standesherren gilt die Regel, daß Vertretung eines Stände- 
mitgliebes nicht zulässig ist. Während der Minderjährigkeit des Besitzers einer Standesherrschaft 
ruht deshalb dessen Stimme. 
8) Sie müssen ein nach dem Rechte der Erstgeburt und der Lineal-Erbfolge erbliches Stamm- 
und Lehengut besitzen, das in der Grund= und Gefällsteuer, nach Abzug des Lastenkapitals, wenigstens 
zu 300 000 fl. (514215 M. 71 Pf.) angeschlagen ist. V.U. § 28. Zur Zeit ist kein solcher „erblicher 
Landstand“ vorhanden. 
9) V. u. § 28. Also der Erbgroßherzog nach erreichtem 18., sonst mit dem 21. Lebensjahre. 
10) V. U. §5 27, 30. Die Ernennung zum Prälaten war ursprünglich nicht sowohl die Ver- 
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