Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

66 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. III. Kapitel. 88 38, 39. 
§ 38. C. Vorstellung und Beschwerde. Die Kammern haben das Recht der Vor- 
stellung, d. h. das Recht, dem Großherzog ihre Anträge und Wünsche in Beziehung auf 
staatliche Angelegenheiten in Form der Bitte vorzutragen. Dieselben können sich beziehen 
entweder aus Gegenstände der Gesetzgebung oder auf Gegenstände der Gesetzesvollziehung 
und können sowohl von beiden Kammern in Gemeinschaft, als von jeder derselben für sich 
allein an den Großherzog gebracht werden #). 
Von dem Fall der Bitte um Vorlage eines Gesetzes s. o. § 33. 
Die Vorstellung kann ferner entweder aus der Mitte der Kammer selbst angeregt 
oder durch eine an die Kammer gerichtete Eingabe von Staatsangehörigen (Petition) ver- 
anlaßt worden sein. 
Den Kammern steht ferner das Recht der Beschwerde zu, d. h. das Recht, dem 
Großherzog oder der großherzoglichen Regierung Rechtsverletzungen zur Kenntniß zu bringen, 
die von der letzteren oder deren Organen begangen worden seien, und Abhilfe dagegen 
zu begehren. Solche Beschwerden beziehen sich ebenfalls entweder auf die Handlungen der 
Gesetzgebung in der Art, daß Seitens der Kammer behauptet wird, die großherzogliche 
Regierung habe einseitig Vorschriften erlassen, welche der Zustimmung der Stände bedürften. 
Hierüber s. o. 9 33. Oder sie beziehen sich auf Handlungen der Vollziehung. Letzterenfalls 
kann — wie bei der Bitte — die Beschwerde entweder aus der Mitte einer Kammer 
angeregt oder durch an die Kammer gerichtete Eingaben (Petitionen) deren Inhalt die 
Kammer ganz oder theilweise für begründet erachtet, veranlaßt worden sein. Sie können 
sich endlich beziehen entweder im Allgemeinen auf Mißstände oder Mißbräuche, die in der 
Staatsverwaltung sich gezeigt haben sollen oder auf bestimmte einzelne Verwaltungshand- 
lungen. Beschwerden der letzteren Art, von einzelnen Staatsangehörigen vorgebracht, 
können von der Kammer nur dann angenommen werden, wenn der Beschwerdeführer nach- 
weist, daß er sich vergebens an die geeigneten Landesstellen, und zuletzt an das Staats- 
ministerium um Abhilfe gewendet hat?). 
Die Kammern können auch im Wege der Beschwerde sowohl gemeinsam, als jede 
für sich allein sich an den Großherzog bezw. die großherzogliche Staatsregierung wenden. 
Nur zu Beschwerden, welche die Beschuldigung einer Verletzung der Verfassung oder ver- 
fassungsmäßiger Rechte enthalten, ist die Zweite Kammer allein befugt. Jedoch steht der 
Ersten Kammer dasselbe Recht der Beschwerde an den Großherzog wegen Verletzung ihrer 
verfassungsmäßigen Rechte zu. Solche Beschlüsse erfordern die für Ministeranklagen bezw. 
Verfassungsänderungen vorgeschriebene Stimmenzahl?). 
Die großherzogliche Regierung ist verpflichtet, Beschwerden, die ihr von einer Kammer 
übermittelt werden, zu untersuchen, im gesetzlichen Wege zu erledigen und der betreffenden 
Kammer von der Art der Erledigung Kenntniß zu geben?). 
§ 39. D. Ministeranklage. Die Minister und übrigen Mitglieder der obersten 
Stagtsbehörde, d. i. des Staatsministeriums sind dafür verantwortlich, daß alle Voll- 
ziehung nur den wahren Willen des Staates zum Ausdruck bringe, also der Verfassung 
vollständig entspreche, sowie dafür, daß Sicherheit und Wohlfahrt des Staates zum Min- 
1) In minder wichtigen Angelegenheiten wird die einfachere Art der Kundgebung eines Wunsches 
er Kammer gewählt, dieselbe zu Protokoll niederzulegen. 
2) V. U. § 67, Abs. 2. Es muß die „Enthörung“" nachgewiesen sein. — Das Petitions= und 
Beschwerderecht ist nach der badischen Verfassung nicht sowohl ein Recht der einzelnen Staatsbürger, 
E per Kammern. Ueber die verschiedenen Formen der Beschlüsse der Kammern auf solche Petitionen 
. u. . 
3)V.U.§67,Abf.3. . 
4) Dies folgt aus dem Begriffe einer Beschwerde, im Unterschied von einer Bitte. Uebrigens 
pflegt bei beiderlei Vorstellungen die Art der Erledigung den Kammern mitgetheilt zu werden, in der 
Regel in der Form eines Verzeichnisses.
	        
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