Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.3. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (3)

70 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. III. Kapitel. § 4. 
zur Abstimmung über Annahme oder Nichtannahme im Ganzen ohne alle Abänderung 
gebracht werden. 
Tritt die Mehrheit der Ersten Kammer dem Beschluß der Zweiten nicht bei, so 
werden die bejahenden und verneinenden Stimmen beider Kammern zusammen gezählt und 
nach der absoluten Mehrheit sämmtlicher Stimmen der Ständebeschluß gezogen“ 7). 
Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet hierbei die Stimme des Präsidenten der 
Zweiten Kammer). 
3. Innerhalb jeder Kammer: 
a) Die Annahme eines Gesetzesentwurfes, sowie die Ablehnung eines landesherr- 
lichen Gesetzesvorschlages können in jeder Kammer, sowohl nach stattgefundener Vorberathung 
in einem besonderen Ausschusse, als auch ohne solche erfolgen, letzteres aber nur auf Grund 
einer zweimaligen, durch eine Zwischenzeit von mindestens drei Tagen getrennten Berathung 
und Abstimmung ?). 
b) Jeder giltige Beschluß einer Kammer erfordert, wo nicht ausdrücklich eine Aus- 
nahme festgesetzt worden ist, absolute Stimmenmehrheit bei vollzähliger Versammlung. 
Bei gleicher Stimmenzahl gibt die Stimme des Präsidenten die Entscheidung 0. 
Ausnahmsweise ist eine höhere Stimmenzahl erforderlich bei Verfassungsgesetzen. Kein 
Gesetz, das die Verfassungsurkunde ergänzt, erläutert oder abändert, darf ohne Zustimmung 
einer Mehrheit von zwei Dritteln der Ständemitglieder einer jeden der beiden Kammern 
gegeben werden ). 
Die gleiche Mehrheit erfordern die Beschlüsse der Zweiten Kammer über Beschwerden 
wegen Verletzung verfassungsmäßiger Rechte und über Ministeranklagen ). Geringere 
Stimmenzahl kann bei Wahlen stattfinden, je nach der Geschäftsordnung der betreffenden 
Kammer. 
Vollzählig wird die Erste Kammer durch die Anwesenheit von 10, die Zweite durch 
die Anwesenheit von 35 Mitgliedern, einschließlich der Präsidenten. Zur gültigen Berath- 
schlagung über die Abänderung der Verfassung wird in beiden Kammern die Anwesenheit 
von drei Vierteln der Mitglieder erfordert?). 
Jedes Mitglied hat die Pflicht, bei den Sitzungen zu erscheinen; keines soll sich ohne 
Erlaubniß der Kammer von dem Versammlungsort entfernen, insofern dadurch von ihm eine 
Sitzung versäumt würde. 
J0) Nur den landesherrlichen Kommissären und den Mitgliedern der ständischen Kom- 
1) V. U. §§ 60, 61. 
„Die Finanzen betreffende Gesetzesentwürfe“" find jedenfalls die Gesetze über die jeweilige Fest- 
stellung des Staatshaushaltsetats, über die Aufnahme von Anlehen und über die Ermächtigung der 
Regierung zur unmittelbaren Erhebung von Steuern für eine gewisse Periode und über die Festsetzun 
des Steuerfußes der direkten Steuern; nicht aber auch diejenigen Gesetze, welche im Allgemeinen un 
für die Dauer die Grundsätze über die Verpflichtung und Veranlagung zu Staatssteuern feststellen, 
oder nur mittelbar auf die Gestaltung der Staatsfinanzen einen Einfluß haben. Im Uebrigen pflegen 
zwischen den Kammern Erörterungen über die immerhin flüssige Grenze thunlichst vermieden zu werden. 
2) V. U. S 74. 3) V. U. | 70 (Fassung von 1869). 
4) V. U. S 74, Abf. 1. 5) V. U. § 64. 
6) V. U. S§ 67, 67 a. 67 c. 
7) V. U. S 74. Hinsichtlich der Auslegung des §74 bestimmt das Ges. v. 17. Juni 1862, Reg.Bl. 
Nr. XXVIII, S. 233, daß die Prinzen des Großherzoglichen Hauses, die Häupter der standesherrlichen 
Familien, der kathol. Landesbischof und der evang. Prälat derjenigen Zahl von Anwesenden, welche 
der § 74 zur giltigen Berathschlagung über die Abänderung der Verfassung vorschreibt, nur insofern 
beizurechnen find, als fie an dem betreffenden Landtage Theil nehmen. Unter die besondere Bestimmung 
des § 74 fallen außer der V. U. selbst auch diejenigen Gesetze, welche ausdrücklich „unter den Schutz 
der Verfassung gestellt“ oder als V.Ges,. bezeichnet find. 
So sind z. B. die Wahlordnung, das Gesetz über die Eintheilung der Landtagswahlbezirke, 
das Gesetz über die Oberrechnungskammer Verfassungsgesetze.
	        
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