Full text: Sächsische Volkskunde.

128 H. Ermisch: Die Ansänge des sächsischen Städlewesens. 
als in irgend einem Teile Deutschlands. Aber in der Hauptsache sieht sich der 
Forscher doch immer noch angewiesen auf die gleichzeitigen Quellen, und das 
sind, da Sachsen während des Mittelalters nur wenige und dürftige Chroniken 
hervorgebracht hat, fast ausschließlich die Urkunden, Rechtsdenkmäler, Stadt- 
und Gerichtsbücher. Da war es denn von der größten Bedeutung, daß das 
auf Veranlassung der Staatsregierung herausgegebene große Quellenwerk, 
der Codex diplomaticus Saxoniae regiae, von vornherein der Stadtgeschichte 
besondere Berücksichtigung zu teil werden ließ; die Urkundenbücher der 
Städte Meißen, Dresden und Pirna, Chemnitz, Kamenz und Löbau, Leipzig, 
Freiberg, Grimma, die als Teile dieses Werkes erschienen sind, haben erst 
die Grundlagen für eine vergleichende Geschichte unseres Städtewesens ge- 
schaffen. Noch ist das veröffentlichte Material jedoch sehr lückenhaft, noch 
fehlen viele Vorarbeiten. 
Im Anfange unseres Jahrhunderts herrschte die namentlich von 
Savigny vertretene Ansicht, daß die römische Stadtverfassung der Ausgangs- 
punkt der städtischen Entwickelung des Mittelalters gewesen sei. Diese Theorie 
darf heute als völlig überwunben bezeichnet werden; wohl bestanden nicht 
bloß in den romanischen Ländern, sondern auch im westlichen und südlichen 
Deutschland allen Stürmen der Völkerwanderung zum Trotz alte Römer- 
städte weiter, aber ihr Zustand war der eines fortschreitenden Verfalls, und 
nicht einmal die äußeren Formen der Verfassung und Verwaltung haben sie 
zu wahren vermocht. Das Städtewesen des Mittelalters ist etwas durchaus 
Neues, ist durchaus auf germanischer Grundlage erwachsen. In ihren ältesten 
Zeiten, wie wir sie aus den Schilderungen des römischen Historikers Tacitus 
kennen, waren die Deutschen dem städtischen Zusammenleben geradezu ab- 
geneigt (ne pati qduidem inter se junctas sedes). Ihre Welt war das 
Dorf, und auch die eroberten römischen Städte, bei oder in denen sie sich 
ansiedelten, waren für sie nichts als Dörfer. So ist es denn nur natürlich, 
wenn man als den Ausgangspunkt für die Entwickelung der Stadt 
das Dorf angesehen hat. Diesen vollkommen richtigen Gesichtspunkt 
aufgestellt zu haben, ist das lange unterschätzte Verdienst G. L. v. Maurers; 
freilich ließ ihn die ungeheure Masse ungesichteten Stoffes zu einer klaren 
Darstellung seiner Ansichten nicht kommen. Maurers Landgemeindetheorie 
hat neuerdings in Georg v. Below einen scharfsinnigen Vertreter gefunden, 
der ihr erst zu ihrem Rechte verholfen hat. Der Satz freilich, den Maurer 
fortwährend wiederholt, daß die Stadt nichts sei als ein ummauertes Dorf, 
hebt nur ein sehr äußerliches Merkmal der Stadt hervor; für den Begriff 
der mittelalterlichen Stadt ist damit noch nicht viel gewonnen. Jahrhunderte 
vergingen, ehe dieser Begriff, ehe der Unterschied zwischen Stadt und Dorf 
sich feststellte; eine Fülle von verschiedenen Erscheinungen tritt uns entgegen 
und hat zu eben soviel verschiedenen Theorien über die Entstehung der Städte
	        
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