Full text: Sächsische Volkskunde.

336 Johannes Walther, Sprache und Volksdichtung der Wenden. 
entbehren können. Mag auch die früher beliebte Methode, Ortschaften mit 
sorbischen Namen ohne weiteres für sorbische Siedelungen zu halten, unhaltbar 
sein, so ist schon der Umstand, daß oft entschieden deutsche Ansiedelungen 
sorbische Namen und umgekehrt sorbische Gründungen rein deutsche Namen 
aufweisen, der Forschung wert. Es wäre ferner ein dankenswertes Unter- 
nehmen, den Bestand sorbischer Ausdrücke und Wurzeln in der sächsischen 
Volkssprache festzustellen; derselbe würde wahrscheinlich reicher ausfallen, als 
mancher denkt: was ein Bomätscher ist, weiß wohl jedes Dresdner Kind, 
daß das Wort pomhacer Helfer, Geselle heißt, wissen nur wenige. Fast 
überall in Sachsen ist der Name Zauke für Maiglöckchen, convallaria 
majalis, bekannt; dies Wort ist nichts anderes als das sorbische caltka 
Semmelchen, weil die Blütenreihe einer Semmelzeile nicht unähnlich ist. 
Wie oft hört man bomäle — nichts anderes als pomalu, langsam, Motsche 
für Kuh, nichts anderes als mlodso, Pitschen für Trinken von pic, Muschel 
für geflochtenen Korb oder Sack von mesk, Kien — harziges Kiefernholz 
von khöjna, die Kiefer, Nustel, die Tragstange, von nosydlo, Stamm njesc 
und viele andere. (Und last not least würde durch solche berufene Kritik 
und Forschung auf dem Gebiete wendischen Volkslebens der Wahrheit gedient 
werden und das ebenso boshafte wie lächerliche Märchen vom Panflavismus 
des wendischen Volkes mehr und mehr und hoffentlich für immer ver- 
schwinden. 
Daß man am Ende des 19. Jahrhunderts überhaupt über Sprache und 
Volksdichtung der Wenden als lebende Sprache und Dichtung schreiben kann, 
gehört an sich zu den historischen Merkwürdigkeiten. Zwar haben auch andere 
nationale und sprachliche Minoritäten inmitten anderer Volksmassen längere 
oder kürzere Zeit sich bewahrt, z. B. unsere Siebenbürger Sachsen, deutsche 
Kolonien in Rußland und andere, aber dann sind jene Minoritäten ent- 
weder numerisch weit stärker als unser Wendenvolk, oder aber begünstigen die 
territorialen Verhältnisse die Bewahrung der Nationalität, während der ver- 
hältnismäßig kleine wendische Stamm seit Jahrhunderten vom deutschen 
Elemente umgeben und durchsetzt, in erstaunlicher Weise mit dem stärksten 
und innigsten Festhalten an seinem Volkstum seine Eigenart bewahrt hat. 
Der lange erbitterte Kampf mit den Waffen, den das Wendenvolk vor nun- 
mehr 1000 Jahren gegen seine Gegner insbesondere das Deutschtum auf- 
zunehmen hatte, ist bekannt, weniger bekannt aber, daß noch im 16. und 17., 
ja bis tief ins 18. Jahrhundert herein wendische Nationalität und Sprache 
von allen Ehren und Amtern im Staate, von den höheren Schulen und 
Wissenschaften, vom Bürgerrecht der Städte, von Innungen und Zünften 
unbedingt ausschloß. Allenfalls durch Erlegung einer großen Summe Geldes 
konnten die Behörden bewogen werden, von dem Nachweis abzusehen, daß 
der Aspirant „guten teutschen Geblüts und nicht wendischer Nation sei“.
	        
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