Full text: Sächsische Volkskunde.

350 Johannes Walther: Sprache und Volksdichtung der Wenden. 
häufige Rolle spielt in dem wendischen Volksliede rucany wä#nask der 
Rautenkranz, der nicht nur ehrbare Paare bei der Hochzeit, sondern 
auch die tote Jungfrau und den ehrbaren Burschen im Sarge ziert. Un- 
verkennbar alten Ursprungs sind die Volkslieder von Tod und Sterben, in 
denen die Seele des Abgeschiedenen als Vogel wiederkommt und zum Fenster 
herein auf das weiße Bett des Mägdleins hüpfend, ihr den Tod des Liebsten 
kündet. Die Vorstellung der Seele als Vogel findet sich ja nicht nur im 
sorbischen Volksliede, auch die noch heute geübte Sitte, das Fenster zu 
öffnen, wenn der Tode abgeschieden ist, deutet darauf hin. Oft redet im 
Volksliede der Tote aus seinem Grabe, wie in dem oben erwähnten, und in 
einem andern antwortet die Mutter dem klagenden Waisenkinde sie könne 
nicht wiederkommen: 
Na mojimaj wosomea;j 
Lezi tajka drobna pjeröäs 
Na mojesji wutrobje 
Lezi éeiki kamjen. 
Auf meinen beiden Augen 
Liegt Erde gar so fein; 
Auf meinem Herzen lieget, 
Ja liegt ein schwerer Stein. 
Eine dem wendischen Volke eigene und in den Volksliedern, mehr aber 
noch im Volksmärchen oft vorkommende Anschauung ist die, daß Tod und 
Sterben oder anderes Leid sich frommen Menschen immer offenbare. Diese 
Offenbarung heißt Boka losé Gottes Stimme oder Gottes Klage. Sie ruft 
als bloße Stimme durch Haus und Hof, an Brücken, Gewässern und Kreuz- 
wegen, ähnlich den „Anzeigen“ im Deutschen. Bei schwererem Unglück er- 
scheint sie als weißes Huhn, welches in der Nähe des Herdes mit feuchten, 
hängenden Flügeln hin und her huscht. Bei ganz schlimmem nahendem Un- 
glück zeigt sie sich gleichfalls in der Nähe der altgeheiligten Feuerstätte als 
blasses frierendes Kind, welches weder redet, noch angeredet werden darf. 
So reich aber die Volkslieder der Wenden an dunklen Tönen der Klage 
sind, ebenso reich sind sie an übermütigen und lustigen Klängen und nach 
der echten Art des Volkes kann man das lustige dem traurigsten Liede sofort 
folgen hören. So fehlt auf einer wendischen Hochzeit fast nie das Lied von 
der Hochzeit der Vögel. Das Lied besteht aus 24 vierzeiligen Strophen 
und erzählt die Hochzeit des Raben mit der Elster. 37 verschiedene Vögel 
haben hierbei jeder ein besonderes Amt oder Verrichtung, die bald ernster, 
bald lächerlicher Art sind. Das Lied ist ein Zeugnis von guter Natur- 
beobachtung und großer Kenntnis der Vogelwelt, es ist alt, wie schon daraus 
hervorgeht, daß Herder ein ähnliches mitteilt, welches von den längst ver- 
schwundenen Lüneburger Wenden gesungen wurde. Wohl möglich ist's, daß
	        
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