Vorwort zur ersten Auflage.
Micht mehr wie vor alten Zeiten wachsen wir moderne Menschen in
und mit unserer Umgebung auf; bald wohnen wir da, bald dort und unter
diesem steten Wechsel des Wohnortes leidet das echte Heimatsgefühl. Immer-
mehr schwinden bei dem Einzelnen die Eindrücke, die er in seiner Jugendzeit
durch die Überlieferungen seiner Eltern, durch die Geschichte seiner Heimat
oder durch die besondere Kultur seines Stammes erhalten hat. Und doch
liegen hier die Kräfte verborgen, aus denen die wahre Liebe zum engeren
Vaterland, die Freude an dem väterlichen Erbe und die Ehrfurcht vor den
Thaten unserer Vorfahren entspringen. Diese Kräfte müssen gestärkt werden:
wir müssen wieder die Liebe zur Vergangenheit pflegen und lernen uns an
dem stillen Wirken der Volksphantasie und des Valksglaubens zu erfreuen.
Ein Wegweiser in dieser Richtung will dies Buch sein; es will uns
lehren in der Gegenwart die Vergangenheit unseres Volkes nicht zu ver-
gessen und uns bewahren vor der Überschätzung des Heutigen gegen das
Gestrige.
Die Gehestiftung in Dresden hat sich neben der Verfolgung all-
gemeiner Aufgaben auch die besondere gesetzt: in Vorträgen ihren Hörern die
Grundlagen des sächsischen Staats-, Verfassungs= und Wirtschaftslebens zu
entwickeln. Als ich am 15. Mai 1896 in der Stiftung den Plan zu einer
Reihe von Vorträgen über sächsische Volkskunde entwickelte, fand ich bereit-
williges Entgegenkommen, und man nahm den Winter 1898/99 vorläufig
dafür in Aussicht. Fast ein Jahr später, am 14. Februar 1897, wurde in
Dresden ein Verein für sächsische Volkskunde gegründet. Durch die zahl-
reichen persönlichen Beziehungen, die ich als Mitglied des Vereins erhielt,
wurde es mir leicht das Ziel höher zu stecken, es gelang mir die Mit-
wirkung einer Reihe von für die Volkskunde begeisterten Männern zu ge-
winnen und im Herbst 1898 konnten in der Gehestiftung die beabsichtigten