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Die Schweitz.
Die Bundesbehörden, deren Organisation der zweile Abschnitt ent-
hält, zerfallen bekanntlich in die von den beiden „eidgenössischen Räthen“, dem
National= und dem Ständerath gebildete gesetzgebende, „die oberste Gewalt des
Bundes ausübende“ Bundesversammlung, den vollziehenden Bundesrath, die
Bundeskanzlei und das Bundesgericht. Wir beschränken uns hier, das meiste
als bekannt voraussetzend, auf die Erwähnung des zur Gesammtüübersicht un-
bedingt Nothwendigen, und können dieß um so eher, als der neue Entwurf
nur in wenigen Punkten von der alten Verfassung abweicht. Gleich der erste
Artikel [#C 60 alt, 67 neu] mußte wegen der später zu erwähnenden neuen
Volksrechte modificirt werden. „Die oberste Gewalt des Bundes“ ward nach
dem neuen Entwurf nämlich nicht mehr unbedingt, sondern „unter Vorbehalt
der Rechte des Volkes und der Kantone durch die Bundesversammlung aus-
geübt“. Die Zusammensetzung des Nationalrathes („ie ein Abgeordneter des
schweizerischen Volkes“ auf 20,000 Seelen und für jeden Kanton oder Halb-
kanton wenigstens einer) und des Ständerathes (ie zwei Abgeordnete für den
Kanton und je einen für den Halbkanton), der Wahlmodus (direkte Volks-
wahlen in eidgenössischen Wahlkreisen beim Nationalrath) blicben unverändert,
ebenso beim Ständerath die Wahlen durch die oberste Kantonsbehörde oder
durch das Volk des Kantons [§# 61, 62 alt, 68, 69 neu; 69 alt, 76 neufj.
Unwesentlich verändert ward die (mit dem 20. Lebensjahr anhebende) Stimm-
berechtigung insofern, als gegenüber der bisherigen Competenz der Kantone
einheitliche Bundesvorschriften in Aussicht genommen wurden (§ 63 alt, 70
neul, während die Wahlfähigkeit (passive) auch auf die Bürger geistlichen
Standes ausgedehnt ward [(/S 64 alt, 71 neul. Unverändert blieb das drei-
jährige Mandat der Mitglieder des Nationalraths und die jeweilige Gesammt-
erneuerung desselben [§ 65 alt, 72 neu], sowie der Grundsatz der Diäten
1§ 68 alt, 75 neul. Die Befugnisse der Bundesversammlung, welche alles
umfassen, was in die Competenz des Bundes gehört und nicht einer andern
Bundesbehörde zufällt, wurden nur durch die neuen Volksrechte und die er-
weiterte Competenz des Bundesgerichts beschränkt. Unverändert blieb der Grund-
satz der Entscheidung nach einfacher Mehrheit der Stimmenden in beiden Räthen
[/§ 77 alt, 84 neuf); ebenso, daß für Gesetze und Beschlüsse die Zustimmung
beider Räthe erforderlich sei (SI 78 alt, 85 neul, daß beide Räthe ohne In-
struktion stimmen [§S 79 alt, 86 neul, und daß „bei Ausübung des Begna-
digungsrechtes und für Entscheidung von Competenzstreitigkeiten zwischen Bun-
desbehörden sich beide Räthe unter Leitung des Nationalraths-Präsidenten zu
gemeinschaftlicher Verhandlung vereinigen, so daß die absolute Mehrheit der
stimmenden Mitglieder beider Räthe entscheidet“ [8 80 alt, 87 neu]. Hier
sind nur die Artikel Über die sog. erweiterten Volksrechte, Referendums-
und Initiativrecht, eingefügt. Dieselben lauten: „Bundesgesctze, sowie
Bundesbeschllisse, die nicht dringlicher Natur sind, sollen dem Volke zur An-
nahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn es von 50,000 slimmberech-
tigten Schweizer-Bürgern oder von 5 Kantonen verlangt wird“ 85 neul.
Dieß ist das sog. „fakultative Referendum". „Wenn 50,000 stimmberechtigte
Bürger oder 5 Kantone die Abänderung oder Aufhebung eines bestehenden
Bundesgesetzes, oder eines Bundesbeschlusses, oder über eine bestimmte Materie
die Erlassung eines neuen Bundesgesetzes oder Bundesbeschlusses anbegehren,
und diesem Begehren nicht vertragsrechtliche Verpflichtungen des Bundes ent-
gegenstehen, so haben die beiden Näthe, wenn sie dem Begehren zustimmen,
den einschlägigen neuen Gesetz= oder Beschluß-Vorschlag zu vereinbaren und
dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen. Stimmen nicht beide
Räthe dem Begehren zu, so ist dasselbe der Abstimmung des Volkes zu unter-
stellen, und wenn die Mehrheit der stimmenden Bürger dafür sich ausspricht,
so haben die Näthe einen entsprechenden Gesetz= oder Beschluß-Vorschlag aufzu-
stellen und dem Volke zuk Annahme oder Verwerfung vorzulegen (§ 89 neul.
Dieß ist die sogen. „Initiative“", Die Bundesgesetzgebung wird bezüglich der