I. Buch. IV. Ostmarkenpolitik. 123
nische Nationalität darf uns nicht hindern, für die Erhaltung und Stärkung des
Deutschtums in den ehemals polnischen Gebieten zu sorgen. Niemand denkt daran,
unsere Polen von preußischem Staatsgebiet verdrängen zu wollen. Wie sehr sich unter
preußischer Berwaltung die Lage der Polen gehoben hat, das geben auch die deutschen
Gegner einer entschlossenen Ostmarkenpolitik zu, das können die Polen selbst nicht ernst-
lich bestreiten. Aber es ist die deutsche Pflicht und das deutsche KRecht des preußischen
Staates, dafür zu sorgen, daß unsere Deutschen nicht von den Polen im Osten Oeutsch-
lands verdrängt werden. Die Ostmarkenpolitik hat nichts weniger zur Aufgabe als einen
Kampf gegen die Polen, sondern ihre Aufgabe ist die des Schutzes, der Erhaltung und
Verstärkung des Deutschtums neben den Polen, also ein Kampf um das ODeutschtum.
ODieser Kampf durchzieht, mit wechselndem Erfolge und mit wechselnden Mitteln geführt,
die beinahe 100 Zahre, die nun vergangen sind, seit der Festsetzung der Grenzen des wieder-
hergestellten preußischen Staates auf dem Wiener Kongreß. Die Aufgabe der Lösung
der polnischen Frage wäre für Preußen wie für die Polen vielleicht leichter
gewesen, wenn nicht die erkünstelte und unhaltbare napoleonische Schöpfung des Groß-=
herzogtums Warschau den Polen die trügerische Hoffnung erweckt hätte, es könnte im
Zuge europäischer Verwicklungen eine Wiederherstellung der polnischen Selbständigkeit
möglich sein. Die schmerzlichen Erfahrungen von 1830, 1848 und 1863 wären den Polen
diesseits und jenseits der preußischen Grenze vielleicht erspart geblieben, wenn in ihnen
die Erinnerung an die ephemere Staatsschöpfung des ersten Napoleon nicht gelebt
hätte. Der Gedanke daran, daß die Aufteilung der polnischen Republik unter die Ost-
mächte von 1793 bis 1807 nur ein Provisorium gewesen war, erschwerte es naturgemäß
den Polen, die vollendete Tatsache nach dem Sturz Napoleons und seiner für die mili-
tärischen Zwecke Frankreichs gegründeten Staaten als ein Oefinitivum anzusehen.
Die Aufgabe, die Preußen in seinen 1815 zurückgewonnenen
und seit 1772 im Besitz befindlichen ehemals polnischen
Gebieten zu erfüllen hatte, lag einfach genug. Es mußte auf der einen Seite der groß-
polnischen Propaganda nachdrücklich entgegentreten, auf der anderen Seite für die Er-
haltung und Förderung des Deutschtums in den Ostlanden Sorge tragen. Beide Pflich-
ten bedingten einander insofern, als die nationalen Hoffnungen der Polen in dem Maße
an Boden verlieren mußten, wie ihnen ein starkes Deutschtum, das in den Ostprovinzen
angesessen war, die Wage hielt. Wäre diese Aufgabe von Anfang an nach den Freiheits-
kriegen so Nar erkannt und so fest angegriffen worden, wie es Friedrich der Große getan
hatte, hätte sich die preußische Regierung nicht wiederholt im Zuge mißverstandener
Zeitstimmungen von der so klar# vorgezeichneten Richtung abbringen lassen, so wären
wir heute mit Sicherheit ein gutes Stück weiter auf dem Wege zur Lösung unseres Ost-
markenproblems. Wie oft in der Politik beging man die Fehler nicht dadurch, daß
man mit schneller Entschlußkraft das Nächstliegende tat, sondern dadurch, daß man
unter Sentiments und Bedenklichkeiten einen klaren, zweifelsfreien Entschluß überhaupt
nicht finden konnte. A#uch in der Politik ist das Einfachste zwar nicht immer aber doch
meistens das Beste.
Preußens Aufgabe.
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