Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
II. Buch. Finanzen und Steuern. 103 
  
in den ersten 10 Jahren dieses Zeitraumes die Ausgaben für das Heer bei weitem über- 
wogen, sind von 1898 ab die für die Flotte in den Vordergrund getreten. 
Ferner muß auch ein erheblicher Teil der Schuldzinsen, die 1912 mit Verwaltung 
und Tilgung 234,5 Mill. M. betrugen, auf das Konto der Landesverteidigung gesetzt 
werden. Die Summe läßt sich nicht genau angeben, aber man wird nicht fehlgehen, 
wenn man ihr die Hälfte aufbürdet. Endlich ist auch der weitaus größte Teil des Pen- 
sionsaufwands und seit einigen Jahren sind die Ausgaben des Invalidenfonds hierher 
zu rechnen. ODer erstere betrug 1888: 28,82, 1912: 143,41 Mill. M., wovon auf Heer und 
Flotte 1888 rund 28, 1912: 139 Mill. M. entfallen. 
Es würde zu weit führen, wollte ich die Ursachen der Bedarfssteigerung 
für Heer und Flotte im einzelnen vorführen. Aur auf einige Punkte sei in Ergän- 
zung der eingangs gemachten allgemeinen Bemerkungen bingewiesen. Die Bedarfs- 
steigerung ist, was die fortdauernden Ausgaben anlangt, in erster Linie veranlaßt durch 
die Erhöhung der Präsenzziffer bei Heer und Marine, Ausbau der Flotte, Vermehrung 
und Verbesserung des Kriegsmaterials, dann auch Verteuerung der Verpflegskosten 
und Erhöhung der Löhne und Gehälter. So betrug die Geldverpflegung beim Heer 
(ohne Bayern) 1888: 108,54, bei der Marine 8,15 Mill. M.; 1912 waren es 176,21 
und 42,43; die Naturalverpflegung 1888: 76,55 und 2,78, 1912: 185,37 und 3,26. Für 
A#-r#tillerie- und Waffenwesen des Heeres waren erforderlich 1888: 12,96, 1912: 67,91, 
für Bekleidung und Ausrüstung der Truppen 1888: 23,27, 1912; 42,94 Mill. M. Für 
Garnisonsverwaltungs- und Serviswesen steigerten sich die Ausgaben in derselben Zeit 
von 37,39 auf 63,95. Bei der Flotte betrug der Bedarf für Indiensthaltungen 1888: 
7,45, 1912: 51,94, für Unterhaltung der Flotte und Werftanlagen 11,20 und 36,98, für 
Waffenwesen und Befestigungen 2,77 und 21,82. 
Und daß zunächst noch kein Ende in dem Anschwellen dieser Ausgaben abzusehen ist, 
lehren die Anträge der Reichsregierung und die Verhandlungen des Reichstages, die 
soeben in der Zeit des Regierungsjubiläums des Kaisers ihren Abschluß gefunden haben. 
Die Balkankriege, das Vordringen des Slawentums und die veränderte politische Lage 
veranlaßten zusammen mit anderen Ursachen allenthalben neue Rüstungen. Nicht 
nur die Großmächte, sondern auch die kleineren Staaten sehen sich genötigt, ihren Schutz 
für den Fall eines Weltkrieges wirksamer zu gestalten. Man geht nicht irre, wenn man den 
jährlichen Mehraufwand der europäischen Staaten für diesen Zweck auf über 1 Mil- 
liarde M. veranschlagt. Und die einmaligen Ausgaben werden diese Summe um das 
Drei= oder Vierfache übersteigen. Die deutsche Wehrvorlage, die im wesentlichen von 
der großen Mehrheit des Reichstags gebilligt wurde, erhöht die Friedenspräsenzstärke 
um rund 117 000 Mann; 63 000 Rekruten sollen jährlich mehr eingestellt werden, 18 Regi- 
menter die noch fehlenden dritten Bataillone, die Zägerbataillone sollen Radfahrer- und 
Maschinengewehrkompagnien erhalten, neue Alrtillerie- und Kavallerieregimenter usw. 
geschaffen, rund 4000 Offiziere und 15000 Unteroffiziere neuangestellt werden. Der jähr- 
liche Aufwand ist für 1913/14 auf 54, für das folgende Jahr auf 153, und von 1915 
ab auf 186 Mill. M. veranschlagt. Dazu kommen große einmalige Aufwendungen 
für Beschaffung von Kriegsmaterial, Ausbau der Festungen und der Luftflotte, Errich- 
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