Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
14 Das Handelsrecht. III. Buch. 
  
Einen wesentlichen Fortschritt brachte das neue HGB. 
schon durch die Begriffsbestimmung des Kauf- 
manns. Zn einer allzu engen Anlehnung an den volkswirt- 
schaftlichen Begriff des Handels als Vermittler des Güterverkehrs hatte das Allgemeine 
Deutsche Handelsgesetzbuch bestimmte einzelne Geschäfte für den Kaufmannsbegriff 
für maßgebend erklärt. Wer eines dieser Geschäfte gewerbsmäßig betrieb, war unter 
allen Umständen Kaufmann; wer ein anderes Geschäft betrieb, war — wenn es sich 
nicht etwa um eine Aktiengesellschaft oder ein gleichgestelltes Unternehmen handelte — 
unter keinen Umständen Kaufmann, auch wenn der Betrieb in vollkommen kaufmänni- 
scher Weise geführt wurde. Das neue H##. zählt zwar auch eine Reihe von Geschäfts- 
betrieben auf, bei denen ein Handelsgewerbe als vorliegend angesehen wird, es bestimmt 
aber allgemein, daß jedes gewerbliche Unternehmen, das nach Art und Umfang einen 
kaufmännischen Betrieb erfordert — unter der Voraussetzung der pflichtmäßigen Ein- 
tragung in das Handelsregister — als Handelsgewerbe anzusehen ist. Hierdurch wurden 
auch die industrielle Urproduktion, die Geschäfte der Bauunternehmer, der Auskunfts- 
bureaus, Leihbibliotheken, der gewerbsmäßige Handel in Grundstücken usw. erfaßt und 
so durch die subjektive Begrenzung des Kaufmannsbegriffs der vielgestaltigen Ent- 
wickelung des Verkehrs Rechnung getragen. Bemerkenswert ist auch die Art und Weise, 
wie das Gesetz den Kaufmannsbegriff gegenüber den landwirtschaftlichen Erwerbs- 
zweigen abgegrenzt hat. Die moderne Entwickelung hat dazu geführt, daß auch die 
Landwirtschaft in steigendem Umfange sich mit industriellen und kaufmännischen Neben- 
betrieben befaßt. Insoweit dies zutraf, fielen die Landwirte bisher unter den Begriff 
der Kaufleute. Das neue 96. hat davon abgesehen, die Kaufmannseigenschaft Kreisen 
beizulegen, die dem Kaufmannsstande fremd gegenüberstehen. Es stellt den land- 
wirtschaftlichen Unternehmungen frei, durch die Eintragung in das Handeleregister die 
Kaufmannseigenschaft zu erwerben und hat so durch die berufliche Scheidung von Kauf- 
mannsstand und Landwirtschaft das Handelsrecht zu einem Sonderrechte des Kauf- 
mannsstandes gemacht. 
Eine verschiedene Behandlung des Ehemannes und der Ehefrau bei dem Be- 
trieb eines Handelsgewerbes war durch das alte Handelsgesetzbuch insofern gegeben, 
als die Ehefrau zu dem Betrieb eines Handelsgewerbes der Einwilligung ihres Ehe- 
mannes bedurfte. Das neue 96. hat diese Vorschrift gestrichen und so auch für das 
Gebiet des Handels den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter zur Geltung 
gebracht. « 
Begriffsbestimmung 
des Kaufmanns. 
  
  
Soziale Tendenz des Die soziale Tendenz des SGB. kommt besonders 
Zandelsgesetztuchs. in den Bestimmungen über Handlungsgehilfen und Hand- 
lungslehrlinge zum Ausdruck, wobei durch eine Reihe 
von zwingenden Vorschriften mit dem Prinzip des freien Vertragsrechts gebrochen wurde. 
Das Gesetz verlangt, daß die Geschäftsräume, Geschäftsbetrieb, Regelung der Arbeits- 
zeit nicht die guten Sitten, den Anstand oder die Gesundheit des #Angestellten gefährden 
dürfen: bei Aufnahme in die häusliche Gemeinschaft müssen Wohn- und Schlafraum, 
  
  
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