IV. Buch. Das Heerwesen. 21
Uberall sind die Gefechtsvorschriften in die Reglements aufgenommen worden; die
Bestimmungen aber, die für das sonstige Verhalten im Felde nötig sind, für Marsch,
Nuhe, Vorposten, Aufklärung, Verschleierung, Verhalten vor und in Festungen und
anderes mehr sind in der „Felddienstordnung“ zusammengestellt.
Die 1887 in diesem Sinne herausgegebenen Vorschriften mußten mit der allmäh-
lichen Entwickelung des Heeres und den zahlreichen Neueinführungen, besonders bei
der Artillerie, den Verkehrstruppen, im Luftschifferwesen und im Pionierdienst wieder-
bolt geändert und erweitert werden, bis endlich im Frühjahr 1908 die zurzeit gül-
tige Felddienstordnung erschien. Diese hat durch Vereinfachung der Vorschriften
und Beseitigen alles Schematischen der Perfönlichkeit erweiterten Spielraum
verschafft und besonders für Vorposten, Aufklärung, Verschleierung, Marschanordnung,
Bagagen, Munitionskolonnen und Trains durchaus zweckmäßige und einfache Be-
stimmungen getroffen. In einem besonderen Abschnitt sind die Vorschriften für
die Manöver enthalten, in denen die gesamte Ausbildung gipfelt. Sie erstreben ein
möglichst kriegsgemäßes Verhalten aller Teile, und sehen neben Brigade-, Dirisions-,
Korps- und Kaisermanövern besondere Ubungen im Festungskriege, Pionier- und
Nachrichtendienst usw. sowie für die Kavallerie vor. In ihnen wird vor allem der
offensive Geist gefördert und groß gezogen. Neuerdings liegt der Hauptwert auf
den UÜbungen großer Truppenmassen.
Haben auf dem Gebiete der Taktik und der Aus-
Strategische-Beersohrung. rüstung zahlreiche tiefgreifende Veränderungen des
Kriegswesens stattgefunden, so mußten das gewaltige numerische Anwachsen der Heere
und die vielen neuen Hilfsmittel der Kriegführung auch die strategische Heerführung
beeinflussen.
Noch Moltke rechnete damit, daß das Heer sich im wesentlichen aus dem Mitteln
des Kriegsschauplatzes ernähren könne, und scheute sich daher nicht, mehrere Armee-
korps auf eine Straße zu setzen, um vielseitige Entwickelungsmöglichkeiten zu schaffen
und starke Massen auf engen Räumen verwenden zu können. Als er 1888 aus dem
Amte schied, trat Graf Waldersee an seine Stelle, ein genialer Soldat, der im
Vollgefühl seines eigenen Könnens sich auf eine wissenschaftliche Spstematisierung der
Strategie nicht einließ, aber das Urteil seiner Untergebenen durch stets wechselnde
Aufgaben und Verfahrungsweisen zu bilden und überall das Zweckmäßige zu betonen
suchte, das in jeder Lage verschieden sein könne. Erst dem Grafen Schlieffen, der
ihn 1891 in seiner hohen Stellung ablöste, war es beschieden, ein gewisses strate-
gisches Sostem für die modernen Massenheere zu entwickeln; er hat das unstreitbare
Verdienst, in den verschiedensten Richtungen llärend gewirkt zu haben.
Von dem Gedanken ausgehend, daß alle auf einer Straße marschierenden Truppen
an einem Tage zum Gefecht müßten aufmarschieren und täglich von rückwärts ver-
pflegt werden können, stellte er bei der großen Marschtiefe moderner Armeekorps als
Grundsatz auf, daß man auf jede Marschstraße nur ein Korps setzen dürfe. Zugleich aber
war er darauf bedacht, den Willen, den Feind in der Schlacht zu vernichten, zum
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