112 Die Elektrizitäts-Zndustrie. VI. Buch.
solche Umständlichkeit und Kostspieligkeit der elektrischen Beleuchtung, daß von einer
ausgedehnten industriellen Verwendung derselben, an Stelle des Gases, keine
Rede sein wird“. Weiter wird in dieser Schrift ausgeführt: „Zugleich haben an-
gestellte Berechnungen die Unmöglichkeit ergeben, jemals größere Distrikte von einer
Zentralstation aus elektrisch zu beleuchten, weil die Kosten der Kupferdrahtleitungen nicht
im einfachen Verhältnis, sondern im Quadrat der Entfernung wachsen und somit für
längere Leitungsstrecken geradezu unerschwinglich werden. Auch läßt sich die Elektrizität
nicht, in ähnlichem Verhältnis wie Gas, aufspeichern und dem unendlich wechselnden
Konsum der verschiedenen Tages- und Jahreszeiten anpassen, sondern die Apparate und
Motoren müssen in ihrer Leistungsfähigkeit stets auf die augenblickliche Befriedigung
des höchstmöglichen Beleuchtungsbedürfnisses berechnet sein. Alle diese und noch viele
andere Umstände, welche eine irgendwie umfangreiche Konkurrenz der elektrischen Be-
leuchtung im eigentlichen Gebiete des Gases undenkbar erscheinen lassen, beruhen aber im
wesentlichen auf Naturgesetzen, an denen kein Erfinder etwas ändern kann.“ Die Beur-
teilung der Starkstromtechnik ist jetzt allerdings eine etwas andere. Es ist besonders in-
teressant, zu sehen, wie sich gerade in den Kreisen der Gastechniker die Ansichten geändert
haben. Direktor W. Eisele-Kassel schreibt z. B. in seinem Aufsatz „Die Zukunft des Leucht-
gases“, Journal für Gasbeleuchtung und Wasserversorgung 1911, Seite 97 folgendes:
„Wir Gasfachleute erkennen das gerecht und neidlos an. Wenn wir aber sehen, wie sich
der elektrische Strom Aller Gunst erfreut, sich entwickelt und uns von unseren Abnehmern
für Licht und Kraft beharrlich Schritt um Schritt die besten entzieht, dann kann der Gas-
fachmann, der nicht reiner Optimist ist, sich der bangen Frage und eines Versuches ihrer
Beantwortung nicht entziehen: Wie wird sich die Zukunft unserer alten blühenden Leucht-
gasindustrie gestalten? Wird sie durch ihre jüngere, schönere Schwester, die Elektrizität
bedroht und zur Aschenbrödelrolle verurteilt werden? Werden auch wir über kurz oder lang
zu den Opfern zählen, über die eine neuere Entwicklung schonungslos hinwegstürmt?“
Die durch die letzteren Worte gekennzeichnete hohe Bedeutung der Stark-
stromtechnik hätte nicht erreicht werden können, wenn die Elektrizitätsanwendung
sich auf die Beleuchtung beschränkt hätte. Dies Anwendungsgebiet hätte fraglos sich
zu hoher Blüte entwickelt dank seiner hervorragenden, alle anderen Beleuchtungsarten
übertreffenden Eigenschaften. Es wäre aber immerhin die Bedeutung der Elektrizitäts-
anwendung eine wesentlich geringere geblieben als sie heute ist, wenn nicht die Kraft-
verteilung auf elektrischem Wege allmählich immer mehr Bedeutung gewonnen hätte.
Oie Elektrizitätswerke waren im Anfang wesentlich Beleuchtungswerke. Noch im
Zahre 1895, in welchem die erste Statistik über die Elektrizitätswerke veröffentlicht
wurde, betrug der Anteil des Kraftanschlusses am Gesamtanschluß nur 14%. Ganz anders
liegen die Verhältnisse heute, wo der Kraftbetrieb schon den überwiegenden Teil der
Leistungsfähigkeit der Elektrizitätswerke in Anspruch nimmt. Welche Bedeutung der
Elektromotor jetzt für Industrie und Gewerbe hat, geht am besten aus einer Außerung
des rheinisch-westfälischen Provinzial-Tischler-Verbandes hervor. Dieselbe lautet:
„Heute können wir die erfreuliche Tatsache verzeichnen, daß selbst lleine Hand-
werksbetriebe bis zu vier Gesellen sich in steigendem Maße des maschinellen Werk-
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