Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
14 Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. VI. Buch. 
  
wurde, ist nicht aus den Augen zu verlieren, wenn auch gerade die damaligen Erfahrungen 
und alle späteren die großen Schwierigkeiten, dem Ziel sich zu nähern, gezeigt haben und 
es erklären, daß so manche Blütenträume nicht reiften. Aber auch die spontane autonome 
Entwickelung einer Gesetzgebung kann sich hier in der Arbeiterversicherung, wie sich ja auch 
gezeigt hat, unter dem Impuls aufgeklärter öffentlicher Meinung und unter der Initiative 
tüchtiger Praktiker und Theoretiker in der gewünschten Richtung entwickeln. 
Von anderen Seiten der volkswirtschaftlichen Entwicke- 
lung sei hier nur noch Weniges erwähnt. Auf einem der 
wichtigsten und immer noch wichtiger gewordenen Gebiete, dem Kreditwesen und der Kredit- 
organisation, ist das Notenbankwesen schon in der ersten Reichszeit unter Berücksichtigung 
der historisch gewordenen Verhältnisse in die Richtung der größeren, wenn auch nicht voll- 
ständigen Zentralisation hinübergeführt worden, namentlich durch die Bildung der Reichs- 
bank aus der Preußischen Bank heraus und durch Regelung der gesamten Notenbanken 
und des Notenumlaufs. Durch die Reichsbank, die sich als Notenbank und zugleich als 
Depositenbank und Bank für den Giroverkehr, als Hauptglied für Wechseldiskontierung 
und Lombardierung mit ihrem großen Filialnetz eine Stellung erhalten und weiter aus- 
gebaut hat, durch welche sie unter den ersten bezüglichen Instituten der Welt eine erste und 
günstigste Stellung einnimmt, ist die volle Herrschaft über Geld- und Kreditmarkt ebenfalls 
dem bloßen Privatkapital mit seinen Einrichtungen (Börse, Banken usw.) vorenthalten 
geblieben. Aber die Vormacht des stark konzentrierten und unter sich wieder vielfach 
kartellierten und zu gemeinsamen Geschäftsaufgaben verbundenen Privatkapitals ist da- 
durch doch nur etwas, jedoch nicht mehr ausreichend beschränkt geblieben. Durch sehr 
bedeutende Ausdehnung ihres durch eigene Depositenkassen als Filialen neuerdings ent- 
wickelten Depositengeschäfts und Scheckwesens und durch Hinzunahme der Emissions- 
tätigkeit auf dem Gebiet öffentlicher Anleihen und der Erwerbsgesellschafts-, namentlich 
Aktien-Gesellschaftsgründung, zu den alten normalen Hauptaktiogeschäften des moder- 
nen Bankwesens, durch Verbindungen unter sich zu großen, gemeinsam operierenden 
Geschäftsgruppen, durch Kreditgewährung in mancherlei Form, wie sie die Bedürf- 
nisse von Handel, Industrie und Bergbau mit sich bringen, hat eine Anzahl dieser 
Banken sich zu großen spekulativen Geschäftsunternehmungen, sogenannten Effekten- 
banken, entwickelt. Sie erscheint damit als zwar wesentlich geläutertes, aber doch als 
fortgebildetes Bankspftem nach dem Typpus des Pereireschen Crédit mobilier aus der 
Zeit des zweiten französischen Kaiserreichs. Die größte und wichtigste Gruppe davon, 
die sogenannten Berliner Großbanken, stellen einen eigentümlichen Typus dieses mo- 
dernsten Bankwesens dar und haben für einen großen Teil der deutschen Volkswirt- 
schaft und für deren Eingliederung in die Weltwirtschaft durch ihre Kreditvermittelung 
die schon in der vorausgehenden Periode begründete machtvolle, zum Teil beherr- 
schende Stellung auf dem Geld- und Kreditmarkt immer völliger errungen. Von gesetz- 
geberischer Intervention sind sie aber bisher wenig berührt worden, obgleich ihre Be- 
anspruchung der Kreditgewährung der Reichsbank, ihre großen Forderungen um Unter- 
stützung bei den Ultimoterminen des Börsenverkehrs, ihre große Summe von stets rück- 
Kredit- und Bankwesen. 
  
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