Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
376 Die Arbeiter-Sozialpolitik. VI. Buch. 
  
Persönliche Initiative. Während die Novemberbotschaft (1881) vom Fürften 
Bismarck als Reichskanzler gegengezeichnet wär, 
fehlte diese Gegenzeichmung bei den Februar-Erlassen. Sie waren der groß- 
herzigen Initiative des Kaisers entsprungen, sie waren allein von seiner Arutorität 
getragen. Es war kein Geheimmis, daß der Fürst Bismarck ihr schärfster Gegner war. 
Nur widerstrebend hatte er bei der Redaktion mitgewirkt und in der Absicht, sie wenig- 
stens möglichst „unschädlich" zu gestalten. In der gleichen Absicht hatte er die Be- 
rufung der internationalen Arbeiterschutzkonferenz und die Mitberatung im Staatsrat 
vorgeschlagen, in der Hoffnung, daß hier „das nötige Wasser in den Wein gegossen 
werde“. 
  
Am 14. Februar 1890 trat der preußische Staats- 
rat zusammen. Kaiser Wilhelm lI. eröffnete die 
Sitzung mit einer bedeutungsvollen Ansprache, in der die Februar-Erlasse ihre 
weitere Begründung und klarere Ausgestaltung fanden: 
„Ernst und verantwortungsvoll ist die Aufgabe, zu deren Lösung Ich Sie hierher 
entboten habe. Der den Arbeitern zu gewährende Schutz gegen eine willkürliche und 
schrankenlose Ausbeutung der Arbeitskraft, der Umfang der mit Rücksicht auf die Ge- 
bote der Menschlichkeit und der natürlichen Entwicklungsgesetze einzuschränkenden Kin- 
derarbeit, die Berücksichtigung der für das Familienleben in sittlicher und wirtschaft- 
licher Hinsicht wichtigen Stellung der Frauen im Haushalte der Arbeiter und andre 
damit zusammenhängende Verhältnisse des Arbeiterstandes sind einer verbesserten 
Kegelung fähig. Dabei wird mit sachkundiger Besonnenheit erwogen werden müssen, 
bis zu welcher Grenze unfre Industrie eine durch strengere Vorschriften zugunsten der 
rbeiter erhöhte Belastung der Produktionskosten ertragen kann, ohne durch den Wett- 
bewerb auf dem Weltmarkte die lohnende Beschäftigung der Arbeiter beeinträchtigt 
zu sehen. Dadurch würde statt der von Mir erstrebten Förderung eine Schädigung 
der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter herbeigeführt werden. Um diese Gefahr zu ver- 
meiden, bedarf es eines hohen Maßes weiser Besonnenheit. Denn die glückliche Lösung 
dieser unfre Zeit beherrschenden Fragen ist um so wichtiger, als dieselbe mit der von 
Mir angeregten internationalen Verständigung über dieselben in ersichtlicher Wechsel- 
wirkung steht. — Nicht minder wichtig für die Sicherung eines friedlichen Verhält- 
nisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind die Formen, in welchen den 
Arbeitern die Gewähr dafür zu bieten ist, daß sie durch Vertreter, die ihr Vertrauen 
besitzen, an der Regelung ihrer gemeinsamen Tätigkeit beteiligt und zur Wahrnehmung 
ihrer Interessen in Verhandlung mit den Arbeitgebern befähigt werden. Es wird 
zu erstreben sein, die Vertretungen der Arbeiter mit den staatlichen Berg- und Auf- 
sichtsbeeamten in Verbindung zu setzen und auf diese Weise Formen und Ordnungen zu 
schaffen, durch welche den Arbeitern der freie und friedliche Ausdruck ihrer Wünsche und 
Interessen ermöglicht und den staatlichen Behörden Gelegenheit geboten wird, durch 
Anhörung der unmittelbar Beteiligten fortlaufend über die Verhältnisse der Arbeiter 
zuverlässig unterrichtet zu werden und mit den letzteren die wünschenswerte Fühlung 
Der Kaiser im Staatsrat. 
  
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