Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Die evangelische Kirche und Cheologie. 2 
  
beiden Seiten, wenn auch aus sehr entgegengesetzten Motiven, gewünscht wird, würden diese 
Utopien sich verwirklichen, noch in der gegenwärtig ebenfalls von verschiedenen Stand- 
punkten aus projektierter „Kirche“ als „Zweckverband“, die nur noch eine rein äußerliche 
Verwaltungseinheit darstellt, dagegen auf irgendwelche Bekenntnisgemeinchaft grund- 
sätzlich verzichtet. 
Mitleidenschaft der kirch- Schümme- kairter Vensthen Parergenreen 
. . ringen des kirchenpo en Parte 
lichen Arbeitsgebiete. das Verfassungs., ja auch Arbeitsleben der Kirche. 
Die ürchlichen Fragen sind zu kirchenpolitischen und diese zu Machtfragen geworden. 
Die Parteien und vorzugsweise die extremen, entfalten ihre ganze #ktions- und Agi- 
tationskraft in den Wahlen zu den Synoden, Kirchenvorständen und Pfarrämtern. Dabei 
gehen alle sachlichen Gesichtspunkte in dem alleinigen Streben unter, Majoritäten zu 
gewinnen und so die kirchliche Gesetzgebung und Verwaltung im Sinne der Partei zu 
beeinflussen. Was dabei herauskommt, mag es „positiv“ oder „liberal“ sein, erweckt, 
wie zahlreiche kirchliche Wahlkämpfe schlimmster Sorte in den letzten Jahren bewiesen 
haben, einen andern als den Geist, der allein die Kirche bessern kann. Hier siegt regel- 
mäßig die „beste Organisation“. 
Sogar in unsere großen freien Arbeitsgemeinschaften treibt der Parteigeist seine 
Keile hinein. Man erinnere sich der Scheidung der „Kirchlich-sozialen Konferenz“ 
vom „Evangelisch-sozialen Kongreß“, an die Richtungsfragen, die hier und da in 
den Inneren Missionsvereinen brennend geworden sind und selbst die letzten Tagungen 
des „Kongresses für Innere Mission“ nicht unberührt gelassen haben; an kirch- 
liche Gegensätze, die zeitweilig die Arbeit des „Gustav-Adolf-Vereins“ beunruhig- 
ten und neuerdings geflissentlich in den „Evangelischen Bund“ hineingetragen 
worden sind. Das alles sind geradezu verhängnisvolle Symptome. Wird es dahin 
kommen, daß unsere großen und überaus bedeutungevollen kirchlichen Arbeitsorganisa- 
tionen durch den Parteigeist gesprengt werden? Ist das auch eine Forderung des 
Evangeliums? 
  
  
Am allerschlimmsten wirkt aber die geradezu 
als ein nationales Unglück zu beklagende 
Tatsache, daß unsere kirchlichen Parteien still- 
schweigend sozusagen feste politische Verbindungen eingegangen sind. Oamit ist 
indes nicht gemeint, daß kirchliche Fragen gelegentlich in unseren politischen Körper- 
schaften zur Besprechung kommen und dann natürlich im parteipolitischen Sinne er- 
örtert werden. Das ist bei dem nahen Verhältnis unserer Landeskirche zum Staat 
fast unvermeidlich und besonders auf dem Gebiete der Schulgesetzgebung, die dem 
Staate zwar vorbehalten ist, aber doch vermittelst des Religionsunterrichtes in die 
kirchlichen Funktionen übergreift, verständlicherweise oft hervorgetreten. Auch bei den 
Besetzungsfragen der Theologischen Fakultäten, wo ja in ähnlicher Weise eine 
Konkurrenz zwischen Staat und Kirche verfassungsmäßig obwaltet, hat sich das be- 
Verquickung des kirchlichen mit 
dem politischen Parteiwesen. 
  
  
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