Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
224 Die Entwicklung der Chirurgie. X. Buch. 
schwersten Bauch- und Rippenfellentzündungen, der mit unheimlicher Schnelligkeit 
tötenden Zellgewebseiterungen, denen alljährlich eine große Zahl von Trzten als Opfer 
des Berufes erliegt. Neben diesen wichtigsten Arten haben wir noch zahlreiche andere 
Mikroorganismen kenmen gelernt, die gelegentlich oder immer eitererregende Eigenschaften 
entfalten, gegen die Staphylo- und Streptokokken jedoch an praktischer Bedeutung weit 
zurücktreten. 
Listers antiseptische Durch die aufblühende bakteriologische Forschung war so 
Wundbehandlung. mit die Jahrhunderte lang in tiefes Dunkel gehüllte Be- 
deutung der Bakterien für die Entstehung der Wundinfek- 
tion endgültig geklärt worden. Auf die Annahme einer solchen äußeren, nicht im Körper 
selbst liegenden Schädlichkeit hatte Lister bereits seine epochemachende Behandlungs- 
methode gegründet; jetzt, wo man den Feind kannte, vermochte man den Kampf mit 
ihm weit zielbewußter zu führen. Listers Gedanke war, in der Wunde chemische Mittel 
auf die von ihm richtig vermuteten Keime wirken zu lassen, um sie, mit möglichster Scho- 
nung der Körpergewebe, zu vergiften und abzutöten. Solche Mittel heißen Antiseptika, 
weil sie der Fäulnis entgegenwirken, und die auf ihrer Anwendung beruhende Wund- 
behandlung wurde die „autiseptische“ genannt. Das von Lister eingeführte Karbol 
ist bald durch das von v. Bergmann und Schede empfohlene wirksamere Sublimat 
verdrängt worden, weitere Antiseptika wie das Salizyl, Bor, Thymol, vor allem aber das 
wichtige, durch v. Mosetig- Moorhof eingebürgerte Zodoform und seine zahlreichen 
Ersatzpräparate fanden und erprobten Chemiker und #rzte in gemeinsamer Alrbeit. 
Luftinfektion. Für besonders gefährlich hielt man im Beginne der antiseptischen 
Ara a Grund der Pasteurschen Versuche die in der Luft schwe- 
benden Keime. Nicht nur, daß man sie durch eine komplizierte Verbandtechnik nach 
vollendeter Operation von der Wunde fernzuhalten suchte, man glaubte vor allem 
auch die offene Wunde während der Operation vor den aus der Luft herabfallenden 
Bakterien auf jede Weise schützen zu müssen. Als wirksamste Methode zur Verhütung 
der Luftinfektion galt einige Zeit die mittels eines Dampfsprays erzielte feinste Ver- 
stäubung des Antiseptikums in der Luft des Operationssaales, ein Verfahren, welches 
durch die ständige reichliche Zufuhr von Gift auf dem Atmungswege gar manchen 
Chirurgen um Gesundheit und Leben gebracht hat. Erst jahrelange mühsame Unter- 
suchungen stellten fest, daß die Luftinfektion in ihrer Bedeutung überschätzt worden 
war, denn man fand, daß fast nur harmlose Schmarotzerpilze in geringer Zahl, nicht 
aber die eigentlich gefährlichen Eitererreger die Luft zum Aufenthaltsorte wählen. Ja, 
Paul Bruns stellte sogar die wichtige Tatsache fest, daß es für eine bereits versorgte 
Wunde sehr viel günstiger ist, wenn durch austrocknende, aufsaugende Verbandstoffe 
die Wundsekrete nach außen abgeleitet, als wenn sie durch abschließende Verbände zur 
Stagnation gezwungen und dadurch zu Brutstätten der Bakterien gemacht werden. 
So wurden Spray und hermetisch abschließender Wundverband verlassen. 
Kontaktinfektion. Der „Luftinfektion“ hatte schon Lister die „Kontakt- 
— infektion“ gegenübergestellt, sie erwies sich im weiteren 
  
  
  
  
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