Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 229 
  
technische Vervollkommnung dieser Betäubungsart, und wir dürfen heute sagen, daß 
die ##therbetäubung in Form der Tropfnarkose nach Witzel und in Verbindung mit 
der einschläfernden Wirkung einer NAorphium-, Skopolamin-- oder Veronalgabe dem 
ZIdeale der Allgemeinnarkose sehr nahe kommt. 
Atherrausch. Ein großer Vorzug des Ttbhers besteht auch darin, daß er in Form 
des von Sudeck im Jahre 1901 eingeführten Itherrausches auch 
für kurzdauernde Narkosen äußerst brauchbar ist. Wenige tiefe Atemzüge unter der 
#Athermaske genügen, um einen rauschähnlichen Zustand herbeizuführen, in welchem 
kleinere, für Lokalanästhesie ungeeignete Eingriffe völlig schmerzlos ausgeführt werden 
können. Das Verfahren hat den Vorzug der absoluten Gefahrlosigkeit und des Fehlens 
unangenehmer Nachwirkungen bei großer Sicherheit des Erfolges, daher hat es in 
Deutschland die ebenfalls für kurzdauernde Eingriffe geeigneten, aber nicht gänzlich un- 
gefährlichen Narkosen mit Bromäthyl, Stickorpdul, Thloräthpl und Pental verdrängt 
oder nicht aufkommen lassen. 
Wischnarkosen. Die mit verschiedenen, außerhalb des Organismus gemischten 
Betäubungsmitteln ausgeführten Mischnarkosen, welche sich 
lange Zeit großer Beliebtheit erfreuten, sind ebenfalls durch die Vervollkommnung der 
Athernarkose mehr in den Hintergrund getreten, dagegen findet die belebende Wirkung 
des Sauerstoffes in steigendem Maße bei der Allgemeinnarkose Verwendung. 
Die Zuführung des Narkotikums geschieht vor- 
wiegend durch die Atemwege: in geeigneten 
AMasken, welche Mund und Nase bedecken, verdampft das Betäubungsmittel und 
wird mit der Atemlust ausgenommen. Um die Reizung der Mund-, Rachen- und 
Kasenschleimhaut, sowie die Behinderung des Operateurs durch die Maske bei Opera-- 
tionen an Gesicht und Hals zu vermeiden, hat man in neuester Zeit das Narkotikum auch 
mit Hilfe eines vom Munde eingeführten Rohres direkt in den Kehlkopf geleitet. Der 
von Kuhn 1902 angegebenen „pulmonalen Narkose mittels peroraler Tubage“ beginnt 
die von Meltzer und Auer 1910 erdachte Insufflationsnarkose den Rang streitig zu 
machen, ein Verfahren, bei dem durch ein, die Luftröhre etwa zur Hälfte ausfüllendes 
Gummirohr mit Hilfe eines Gebläses oder einer Sauerstoffbombe Druckluft in die Lunge 
eingeblasen wird. 
TSAuch unmittelbar in die Ader hat man das Narkotikum eingeleitet, von der Erwägung 
ausgehend, daß das mit der Atmung aufgenommene Betäubungemittel doch auch nur auf 
dem Blutwege zum Gehirn gelangt, und daß die Vermeidung der Atmungswege große 
Vorteile bieten müsse; der von Burkhardt 1909 angegebenen intravenösen Ather- 
narkose ist für Ausnahmefälle eine Brauchbarkeit nicht abzusprechen. Dagegen hat sich 
die Einführung verdunstender Betäubungsmittel vom Mastdarme aus (rektale Narkose) 
nicht bewährt, auch die Erzeugung der Narkose durch ausschließlich subkutane Einver- 
leibung von Norphium oder Pantopon in Verbindung mit Skopolamin hat sich nicht 
einzubürgern vermocht, außer vielleicht in der Form einer Halbnarkose, des Dämmer- 
schlafes, den die Geburtshelfer zur Bekämpfung des Wehenschmerzes benutzen. 
Die Bestrebungen, die Giftwirkung des Narkotikums auf ein möglichst geringes 
  
  
Zuführung des Narkotikums. 
  
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