230 Die Entwicklung der Chirurgie. X. Buch.
Maß herabzusetzen, haben Klapp zur Einführung der „Narkose bei verkleinertem
Kreislauf“ veranlaßt. Die Methode beruht auf der Erfahrung, daß blutarme Kranke
zur Erzielung der Znhalationsnarkose geringerer Mengen des Narkotikums bedürfen als
kräftige, vollblütige Menschen. Auch bei dem von Momburg angegebenen Verfahren,
nach Analogie der Esmarch'schen Blutleere durch festes Umlegen eines Gummischlauches
um die Taille die ganze untere Körperhälfte bei sehr eingreifenden Operationen blutleer
zu machen, werden stets auffallend geringe Mengen des Narkotikums gebraucht. Diese
Erfahrungen machte sich Klapp zunutze und erreichte durch Abbinden der Gliedmaßen
unmittelbar vor Beginn der Narkose eine künstliche Verkleinerung des Kreislaufs, bei
welcher der in den Extremitäten zurückgehaltene Teil des Blutes vom Narkotikum un-
berührt bleibt. Die Klapp'sche Narkose hat zweifellos ihre großen Vorzüge, nur darf
sie nicht bei gefäßkranken Menschen angewandt werden, da durch die mechanische Strom-
behinderung das Auftreten von Gerinnselbildungen in den Gefäßen begünstigt wird.
Ortliche Schmerzstillung. Ze mehr die Sicherheit des chirurgischen Eingriffes
wuchs, je geringer die Zahl der postoperativen Todes--
fälle wurde, desto schwerer mußte jeder Unglückfall wiegen, der auf das Konto der
Narkose zu setzen war. So gingen mit der Bemühung, die Gefahren der Allgemeinbe-
täubung nach Möglichkeit zu verringern, Hand in Hand die Bestrebungen, die Narkose
überhaupt einzuschränken und sie durch die örtliche Schmerzstillung zu ersetzen. Es
ist eine auffallende Erscheinung, daß erst in neuerer Zeit die Lokalanästhesie brauchbare
Formen angenommen hat, während doch gerade vor Entdeckung der Narkose das
Bedürfnis nach örtlich schmerzstillenden Mitteln am größten war. Die außerordent-
liche Entwicklung der chemischen Industrie, vor allem in Deutschland, ist hier der Medizin
zu Hilfe gekommen, ihr ist es zu danken, daß wir heute über eine Fülle ausgezeichneter
lokal anästhesierender Mittel verfügen, welche den von Trzten ersonnenen mannigfachen
Anwendungsmethoden ein immer weiteres Feld erschlossen haben.
Lange Zeit hat die örtliche Kälteanwendung die Lokalan-
dsthesie beherrscht. Larrey, der große Leibarzt Napoleons l.,
hatte ihre Bedeutung auf dem Schlachtfelde von Preußisch-Eylau kennen gelernt, wo#“
an den frosterstarrten Gliedern der Verwundeten schmerzlos Amputationen ausgeführt
werden konnten. Von der gewöhnlichen, aus Eis und Salz bestehenden Kältemischung,
deren Verwendung den Forderungen der Sauberkeit widersprach, ging man zum
Atherzerstäuber über, der heute wiederum durch den weit wirksameren A#thylchlorid-
Spray ersetzt ist.
Kokain. Die Kälte, deren Erzeugung stets mit einem leichten Schmerz verbunden
ist, genügt indesseen mur, um die oberflächlichen Hautpartien unempfindlich
zu machen, die schmerzlose Ausführung größerer Operationen gestattet sie nicht. Dieser
wichtige Fortschritt wurde erst ermöglicht durch Kollers Einführung des Kokains in
die Medizin, jenes Mittels, welches von Riemann im ZJahre 1859 aus den Blättern von
Erpthroxplon Coca hergestellt worden war. Das Kokain hat die größten Umwälzungen
hervorgerufen und manche Oisziplinen, wie die operative Augen-, Nasen- und Kehlkopf-
Kälteanwendung.
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