X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 235
wirkung aber vermögen wir bei eimmal ausgebrochener allgemeiner Sepfis nur in sehr
beschränktem Maße auszuüben.
Bier sche Hpperämiebehandlung. Um so wichtiger sind alle Bestrebungen, durch
Steigerung der natürlichen Abwehrvorgänge
den Organismus dazu anzuregen, daß er selbst möglichst viel zur Uberwindung der
Infektion beiträgt. Hier ist neben einigen Verfahren, welche die Widerstandskraft des
Bauchfells gegen entzündliche Prozesse zu erhöhen bestimmt sind (v. Mikulicz), vor allem
die Bier sche Hoperämiebehandlung zunennen, welche sowohl der akuten wie derchro-
mnschen Entzündung entgegemnwirkt. Die Hpperämie st entweder eine passive venöse oder eine
aktive arterielle; beiden Behandlungsarten liegt der Gedanke zugrunde, durch Vermeh-
rung der Blutfülle die Zuführung der im Blute kreisenden Schutzstoffe zu steigern. Die
passive venöse Hyperämie wird in einfachster Weise durch Umlegen einer mäßig kompri-
mierenden Gummibinde zentral vom Entzündungsherde erreicht, sie bewirkt eine venöse
Stauung (Stauungshyperämie) und den Austritt von Blutflüssigkeit in die Gewebe.
Man unterscheidbet eine langba# uernde und eine kurzdauernde Stauung; die erstere wird
20—22 Stunden nacheinander durchgeführt und dient der Bekämpfung der akuten Eite-
rung, während die kurzdauernde, 1—4 Stunden einwirkende Stauung für die Therapie
chronisch entzündlicher, auch tuberkulöser Erkrankungen, namentlich der Gelenke ge-
eignet ist, ein Zweck, den auch die allgemein anerkannte Behandlung mit arterieller, in
den bekannten Heißluftkästen erzeugter aktiver Hpperämie verfolgt.
Das Urteil über die Stauungshyperämie ist noch nicht abgeschlossen, zweifellos ist
jedoch, daß gewisse sehr ernste, akute Zellgewebseiterungen, vor allem die früher so ge-
fürchteten, fast stets zur Versteifung der Finger und der Hand, nicht selten zur Amputa-
tion führenden Sehnenscheidenphlegmonen bei richtiger Technik in günstiger Weise be-
einflußt werden. Während ehedem zur Behandlung dieser Eiterungen große Einschnitte
nötig waren, welche häufig genug ein Absterben der Sehnen zur Folge hatten, kommt man
bei gleichzeitiger Stauung mit kleinen Inzisionen aus und hat den Vorteil, frühzeitig
mit Bewegungen anfangen und wegen der Ausschwemmung der Infektionsstoffe die
schmerzhafte Tamponade der Wunden unterlassen zu können. Auch die von Bier und
Klapp eingeführte Saugbehandlung lleinerer Eiter- und Entzündungsherde mittels
schröpfkopfähnlicher Saugglocken ist in vielen Fällen sehr wirksam. Beide Verfahren
machen den operativen Eingriff nicht entbehrlich, aber sie beschränken seine Ausdehnung
und beschleunigen die Heilung, allerdings bedürfen sie dauernder Uberwachung und sorg-
fältigster Auswahl der geeigneten Fälle.
CEhirurgische Tuberkulose. Unter den chirurgischen Infektionskrankheiten
sind es vor allem die beiden wilchtigsten, die
Tuberkulose und die Syppbilis, deren Kenntnis und Behandlung in den letzten
25 Jahren eine wesentliche Förderung erfahren hat. Die chirurgische Tuberkulose, also
die tuberkulöse Erkrankung der Haut und Schleimhaut, der Lymphdrüsen, Knochen und
Gelenke, ist durch die bakteriologische Forschung unserem Verständnis immer näher ge-
rückt worden, ihrer Therapie aber sind in den natürlichen Heilfaktoren, Sonne und Licht,
sowie in den künstlichen Strahlungsquellen die wichtigsten Helfer erstanden. In der Be-
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