X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 245
von Herzkrankheit, bei der das Herz mit dem Herzbeutel und dieser wiederum mit der vor-
deren Brustwand verwächst. Das Herz muß nun bei jedem Schlage die Brustwand mit-
bewegen und erlahmt daher in kurzer Zeit. Wir entfernen in solchen Fällen mittels der
von Brauer (1902) empfohlenen Cardiolpose die Rippen, soweit sie das Herz decken, und
erzielen damit, falls die Operation nicht zu spät ausgeführt wird, in Kürze eine gänzliche
Erholung des Herzens.
Herz. „Auch das Herz, dieses unruhige und trotzige Ding, hat den Fortschritten der Chi-
Wde: rurgie nicht zu trotzen vermocht, und damit ist das letzte Organ des menschlichen
Körpers dem Bereiche regelrechter chirurgischer Therapie erobert worden“, schrieb Kocher
in seiner Uassischen Operationslehre. Den großen Schritt der ersten erfolgreichen Her znaht
bei Verletzung hat im Jahre 1896 L. Rehn in Frankfurt a. M. getan seitdem ist das verwun-
dete Herz mehr als 200 mal genäht, und weit über 100 Menschen sind durch die Operation
dem sicheren Tode entrissen worden. Uber die Naht des verletzten Herzens aber sind wir
heute noch nicht hinausgekommen, und wenn auch mancherlei Versuche und Vorschläge
auftauchten, das eigentliche Gebiet der Herzkrankheiten der operativen Heilkunde zugäng-
lich zu machen, so sind dies zurzeit noch Utopien.
Große Blutgefäßstämme. Eine weitere Ausbildung als die Operationen am
Herzen selbst hat die Chirurgie der großen Blut-
gefäßstämme erfahren. Es ist heute selbstverständlich, daß wir eine verletzte große
Schlagader, deren Unterbindung zum brandigen Albsterben des zugehörigen Körper-
teiles führen könnte, nicht mehr unterbinden, sondern, wenn irgend möglich, durch
Aaht vereinigen. Die Gefäßnaht, welche uns bei Besprechung der Lehre von der
freien Gewebslberpflanzung noch mehr beschäftigen soll, wird mit allerfeinsten Na-
deln und Seidenfäden ausgeführt; sie gehört, namentlich bei feinen Gefäßen, zu den
zierlichsten Operationen, welche die moderne Chirurgie kennt, weil mit der notwendigen
absoluten Dichtheit der Naht eine möglichste Schonung des Gefäßrohres zur Vermei-
dung von Gerinnselbildungen verbunden werden muß. Die Gefäßnaht kommt nicht nur
bei Verletzungen, sondern auch bei Abtragungen von Gefäßgeschwülsten und bei der
Transplantation zur Anwendung. Heinrich Braun ist es im Jahre 1908 sogar gelungen,
bei Entfernung einer großen, mit der Aorta verwachsenen Geschwulst ein Stück aus dieser
größten Schlagader des Körpers herauszunehmen und ohne jede Störung des Blutkreis-
laufes das Gefäßrohr wieder zu vereinigen.
Auch zur Transfusion, der Überleitung von
Blut aus einem Körper in den anderen bei schwe-
ren Blutverlusten und Bluterkrankungen, wird die Gefäßnaht jetzt viel herangezogen
(Enderlen). Uberhaupt ist die Transfusion von Mensch zu Mensch — jedes andere
Verfahren ist gefährlich — nach dem Vorgange der Amerikaner wieder mehr in Aufnahme
gekommen. Sie war lange Zeit vernachlässigt worden zugunsten der Methoden des
künstlichen Blutersatzes, bei denen physiologische Kochsalzlösung oder andere Salz-
lösungen, die der Zusammensetzung des Blutserums noch näherkommen (Ringersche,
Lockesche Flüssigkeit), unter die Haut oder in die Ader infundiert werden. Um den
roten Blutkörperchen gleichzeitig den mangelnden Sauerstoff zuzuführen, hat Küttner
Transfusion und Infusion.
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