Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
248 Die Entwicklung der Chirurgie. X. Buch. 
  
sogenannten Reflexbogen im Rückenmark ungehemmt auf die Bewegungsnerven und 
die Muskeln übertragen werden und diese zu einer dauernden übermäßigen Spannung 
anregen. Er empfahl daraufhin, das Übermaß dieser Gefühlsreize dadurch zu vermindern, 
daß man das einzig isoliert zugängliche Glied des KReflexbogens, die hintere Rücken- 
markswurzel, durchtrennt, eine Operation, die von Tietze zum ersten Male ausgeführt 
worden ist. Zu diesem Zweck wird der Rückenmarkskanal eröffnet, sodann werden auf 
Grund genauer anatomischer Kenntnisse die zu den jeweilig starren Gliedmaßen führenden 
Rückenmarkswurzeln freigelegt und aus jeder ein mehrere Zentimeter langes Stück ent- 
fermnt. Verfasser hat die Operation 31 mal ausgeführt, mit zwei Todesfällen durch gleich- 
zeitig bestehende Epilepsie, und eine Reihe von sehr wesentlich gebesserten Kindern auf 
dem 39.Chirurgenkongreß den Fachgenossen vorgeführt. Auch bei einem anderen schreck- 
lichen Leiden, den sogenannten gastrischen Krisen der Kückenmarksschwindsüch-- 
tigen, die andauernde, der schwersten Seekrankheit vergleichbare Abelkeit mit Erbrechen 
berbeiführen und die armen Kranken dem Hungertode preisgeben, vermag eine ähnliche, 
von Foerster erdachte und von Küttner zum ersten Male ausgeführte Operation, die 
hier die zum Magen führenden sensiblen Bahnen des Rückenmarks betrifft, wirksame 
Hilfe zu bringen. 
Außerordentliche Fortschritte hat in den letzten 25 Fahren die 
Chirurgie der Harnorgane gemacht, die sich infolge der zu 
beherrschenden komplizierten Technik zu einer besonderen chirurgischen Speziali- 
tät, der Urologie, entwickelt hat. Die glänzenden dauernden Heilerfolge, welche 
bei so schweren NAierenerkrankungen, wie die Tuberkulose, die Sackniere, die 
Nierenvereiterung, bei Verletzungen, Gteinen und Geschwülsten der Niere erzielt 
werden, sind in erster Linie einer außerordentlichen Verfeinerung der Diagnostik zu 
danken. Das bahnbrechende Verfahren der inneren Beleuchtung der Blase, die Zysto- 
skopie, war zwar bereits im Jahre 1877 durch Nitze erfunden worden, für die 
Nierenchirurgie aber machten es erst spätere Verfeinerungen nutzbar. Durch getrenntes 
Auffangen des Sekretes jeder einzelnen Niere mittels des Ureterenkatheterismus — 
das erste brauchbare Instrument für diesen Zweck stammt von Casper (1895) —, durch 
ODarstellung des Nierenbeckens und der Harnleiter mit Hilfe der Röntgenstrahlen, welche 
auch die Diagnose der Nierensteinkrankheit auf eine sichere Basis gestellt haben, durch eine 
auf den neuesten physikalischen Methoden beruhende Funktionsprüfung gelingt es 
heute nicht nur, mit Sicherheit festzustellen, welche Niere erkrankt ist, sondern auch nach- 
zuweisen, ob die andere Niere funktionstüchtig genug ist, um bei operativen Eingriffen 
für das erkrankte und eventuell zu entfernende Organ einzutreten. Mänmer wie Zsrael, 
Küster, Kümmell, VBölcker, Guyon, Albarran verdienen unter den Förderern 
dieses Zweiges der Chirurgie an erster Stelle genannt zu werden. 
Dievon Edebohls inaugurierte operative Behandlungder Brightschen Krank- 
heit hat bisher nicht die Erfolge aufzuweisen, die man erhofft hatte, dagegen gelingt es, 
manche schwerste Form der akuten Ni#erenentzündung aufchirurgischem Wege zur Aus- 
beilung zu bringen. 
Harnorgane. 
  
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