X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 249
Auch eines der häufigsten Leiden des Harnapparates, die Vergrößerung der Vor-
steherdrüse, die Prostatahpypertrophie, wird heute mit bestem Erfolge operatio in Angriff
genommen. Ourch eine einfache und fast ungefährliche Operation, die Prostatektomie,
wird der vergrößerte Teil des Organs, welches man früher für sehr unzugänglich gehalten
hatte, entfernt und dadurch der überaus qualvolle Zustand der Patienten rasch und sicher
beseitigt. Selbst äußerst heruntergekommene und sehr alte Männer pflegen den Eingriff,
der stets in Rückenmark- oder Lokalanästhesie ein- oder zweizeitig ausgeführt wird, gut
zu üÜberstehen.
Extremitäten. Die unzähligen Errungenschaften, welche die Chirurgie der Ex-
tremitäten in den letzten Dezennien zu verzeichnen hat, können
hier nur angedeutet werden. Außerordentlich sind die Fortschritte der orthopädischen
TChirurgie, die sich durch Hoffa, Lorenz und viele andere ebenfalls zu einem eigenen,
an den meisten Universitäten als Sonderfach vertretenen Zweige unserer Wissenschaft
emporgeschwungen hat. Die Orthopädie, welcher aus der Einführung der Röntgenstrahlen,
der Wassermannschen Reaktion und anderer Entdeckungen allgemeiner Natur große
Vorteile erwachsen sind, hat sich mit glänzendem Erfolge der Heilung der einzelnen
Verkrüppelungen zugewandt. Als Beispiel sei nur das traurige Leiden der angebo-
renen Hüftverrenkung genannt, welches früher für unheilbar galt und heute mit
großer Sicherheit durch die unblutige Einrenkung nach Lorenz oder in den hierfür
ungeeigneten Fällen durch die operative Behandlung nach Hoffa und Ludloff geheilt
wird. In der Therapie der Wirbelsäulenverkrümmungen, des Klumpfußes und zahl-
reicher anderer Deformitäten sind ebenfalls große Fortschritte gemacht worden, und die
von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie auf Anregung von Biesalski eingeleitete
Krüppelfürsorge ist ein Werk von allgemeinster humanitärer Bedeutung. Haß die
soziale Gesetzgebung durch die regelmäßige Kontrolle der Behandlungsresultate allen
Zweigen der Chirurgie, insbesondere aber der Orthopädie, hohen RNutzen gebracht hat,
ist ein weiterer Vorzug dieser Großtat Kaiser Wilhelms I., durch welche Deutschland
an die Spitze aller anderen Nationen getreten ist.
Die Lehre von den Knochenbrüchen und Verrenkungen ist durch die Rönt-
gensche Entdeckung ebenfalls in ungeahnter Weise gefördert worden; nirgends ist die Be-
deutung der Röntgenologie so augenfällig wie hier. Aicht nur unsere theoretischen Kennt-
nisse dieser Verletzungen sind vertieft und zum Teil völlig umgestaltet worden, auch die
Diagnostik und Behandlung hat eine weit zuverlässigere Grundlage erhalten. Es ist heute
undenkbar, daß man Knochenbrüche ohne das Hilfsmittel der regelmäßigen Kontrolle durch
die Röntgenstrahlen behandelt. Unter den Fortschritten, welche die Therapie der Frak-
turen aufzuweisen hat, ist vor allem die Bardenheuersche Vervollkommnung der schon
älteren Behandlung mit Zugverbänden zu nennen, ferner die Steinmannsche Nagel-
extension, bei welcher der Gewichtszug direkt an kräftigen, im peripheren Teile des ge-
brochenen Knochens befestigten Nägeln angreift.
Die Behandlung des Extremitätenbrandes läßt naturgemäß noch vieles zu wün-
schen übrig, verstümmelnde Operationen sind auch heute noch unvermeidbar. Immer-
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