X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 255
Enderlen und Küttner ausgeführter Operationen, bei denen bereits von Dauerresul-
taten gesprochen werden darf, erwiesen.
Die Hauptschwierigkeit liegt in der Be-
schaffung des Materials. Lexer verwandte
Gelenke aus amputierten Gliedmaßen, doch ist gerade aus diesen einwandfreies Material
nur schwer zu gewinnen. Deshalb hat Küttner die Transplantation aus der Leiche
eingeführt. Die unerläßliche Voraussetzung dieses Verfahrens ist, daß die Überpflanzung
mit allen Kautelen umgeben und nur ganz einwandfreies Material benutzt wird. Küttner
hat hierfür genaue Vorschriften gegeben und auf den Chirurgenkongressen der Jahre
1911 und 1913 erfolgreiche Verpflanzungen des oberen Oberschenkelabschnittes mit dem
Hüftgelenkkopf aus der Leiche vorgestellt, welche beweisen, daß das Verfahren gute
Dauerresultate liefert und offenbar eine Zukunft hat.
Auf dem Gebiete der freien Gewebsüberpflanzung ist in den letzten Jahren viel
geleistet worden, manches vielleicht, was auf den ersten Blick abenteuerlich erscheint und
doch nur auf konsequenter Weiterentwicklung des wissenschaftlich als richtig Erkannten
und Erprobten beruht. Auf keinem Gebiete berühren sich die Naturwissenschaften, die
schon so oft frisches Leben und neue Anregung in die praktische Medizin hineingetragen
haben, so eng mit chirurgischer Wissenschaft und Kunfst wie auf dem der Transplantation.
Möge aus ihrem Zusammenwirken noch manche bedeutsame Errungenschaft hervor-
gehen!
Überpflanzung aus der Leiche.
Diese Arbeit darf nicht schließen, ohne daß ein Teil der Chi-
rurgie Erörterung fände, welcher in den letzten Jahrzehnten
eine außerordentliche Wandlung erfahren hat, die Kriegschirurgie. Die Ursachen
der großen hier erzielten Fortschritte liegen darin, daß die Kriegsheilkunde wie ihre
Mutterwissenschaft, die TChirurgie, in den jüngst vergangenen Dezennien ihren Charakter
vollkommen geändert hat, und zwar verdankt sie gleich jener ihre hauptsächlichste För-
derung der Vertiefung unserer theoretischen Erkenntnis und der rationellen
Anwendung des antiseptischen Prinzips. Neben diesen beiden Faktoren ist als
ein mehr zufälliges fluktuierendes Moment die Anderung der gebräuchlichen
Kriegsmittel zu nennen, welche Unterschiede in der Art der vorkommenden Ver-
wundungen bedingt und dadurch sowohl günstig wie ungünstig auf die Heilerfolge
wirken kann. v
Vertiefung der theoretischen Die Vertiefung unserer theoretischen Er-
kenntnis ist hier wie auf allen Gebieten der
Thirurgie herbeigeführt worden durch sorgfältige
pathologisch-anatomische Untersuchungen und durch das Ezxperiment. Bis in
das 19. Fahrhundert hinein waren die Vorstellungen von der anatomischen Beschaffenheit
der Schußwunden höchst abenteuerliche gewesen, lehrte doch erst 1787 Ledran seine Zeit-
genossen den Unterschied zwischen Ein- und Ausschuß kennen. Hier brachte nun das Experi-
ment eine sprungweise Förderung, und nur dem Schießversuche verdanken wir unsere
heutige, bis ins einzelne vervollkommnete Kenntnis der Verwundungen des Krieges.
Kriegschirurgie.
Erkenntnis.
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