258 Die Entwicklung der Chirurgie. NX. Buch.
Allen diesen Eigenarten des Seekrieges hat sich der Sanitätsdienst an Bord des
kämpfenden Schiffes anzupassen. Das größte Gewicht ist auf eine zweckmäßige vorbe-
reitende Tätigkeit der Schiffsärzte zu legen, die Verbandsplätze sind sorgsam auszuwählen
und einzurichten, der Verwundetentransport muß gesichert, gebrauchsfertiges Verband-
material an den exponiertesten Punkten bereitgestellt werden. Während des Kampfes
selbst sind die Maßnahmen an den Verwundeten auf das Allernotwendigste zu beschrän-
ken, Stillung des Durstes und Schmerzes, Anlegen der Esmarchschen Binde bei schweren
Blutungen, Notverbände sind wichtiger als alle nicht unmittelbar lebensrettenden Opera--
tionen. Erst nach Beendigung des meist kurzen Feuergefechtes findet der Arzt die Zeit,
sich der Wunden selbst anzunehmen; er muß der großen Neigung der Zerreißungen zur
Infektion durch eine rationelle Antisepsis vorbeugen und, im Gegensatze zum Land-
kriege, auch den zahlreich eingedrungenen Fremdkörpern wenig harmloser Natur ge-
bührende Aufmerksamkeit zuwenden. Nur die dringendst notwendigen Eingriffe sind
noch an Bord des Schlachtschiffes vorzunehmen, alle irgend aufschiebbaren Operationen
werden besser auf dem wohleingerichteten Lazarettschiff oder im heimatlichen Küsten-
lazarett ausgeführt unter aller der Sicherheit, welche die moderne Wundbehandlung
in geordneten Verhältnissen zu bieten vermag.
Lur in kurzen, das Wichtigste eben berührenden Umrissen konnte der gewaltige Ent-
wicklungsgang der Chirurgie im vergangenen Vierteljahrhundert geschildert werden.
Dem Fernerstehenden könnte es scheinen, als sei ein Gipfelpunkt erreicht, aber immer
wieder tauchen Probleme auf, und fast täglich erleben wir es, daß auf einem scheinbar ab-
geschlossenen Gebiete ein neuer Gedanke den völligen Umschwung herbeiführt und zum
Ausgangspunkte unerwarteter Errungenschaften wird. Möge dieser Entwicklungsgang
der Chirurgie erhalten bleiben, möge der jugendlich tatkräftigen Wissenschaft niemals
die Stunde schlagen, die ihr ein Ausruhen auf Lorbeeren bringt!
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