X. Buch. Die soziale Medizin und soziale Hygiene. 265
fach teurer Apparate, deren dauernde Benutzung häufig Gesundheit und Leben
der Arzte ebenso bedroht, wie die Behandlung übertragbarer Erkrankungen. Mit
diesen Anforderungen hat die Entlohnung der ärztlichen Tätigkeit nicht Schritt gehalten.
Mögen auch einzelne Arzte durch besondere Fähigkeiten außerordentliche Einnahmen
haben, die durchschnittlichen Einnahmen des praktischen Arztes entsprechen trotz voller
Beschäftigung nicht den Aufwendungen für die Ausbildung und die geforderten Lei-
stungen. Einmal ist die ärztliche Gebührenordnung gegenüber den Anforderungen
einer neuen Zeit und dem gesunkenen Kaufwert des Geldes zurückgeblieben; enthält
sie doch nicht einmal Sätze für die verschiedenartige Anwendung von NRöntgenstrahlen;
dazu kommt aber weiterhin, daß selbst die Minimalsätze der Gebührenordnung vielfach
den Krankenkassen und einzelnen Organen der sozialen Versicherung zu hoch erscheinen.
Auch das Kurpfuschertum, das sich infolge mangelnder Gesetze zu einem Krebsschaden
ausgewachsen hat, beeinträchtigt die praktische ärztliche Tätigkeit in hohem Maße. Daneben
stellt es auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Gesamtheit der Bevölkerung dar.
Schwierigkeiten durch Eine weitere Schwierigkeit ist dem ärztlichen Stand in-
folge der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches
und des Strafgesetzbuchs erwachsen. In ersterem kam
vor allem die Haftpflicht des Arztes in Frage. Ich hebe aus dieser nur einzelne Fälle
heraus, in welchen widerstreitende Interessen des Einzelindividuums und des Allge-
meinwohls in Frage kommen. Wie hat sich der Arzt Fällen gegenüber zu verhalten,
in welchen ein tuberkulös oder spphilitisch Infizierter mur durch einen gewissen Zwang
abgehalten werden kann, eine Ubertragung der Krankheit auf seine Mitmenschen herbei-
zuführen? Beide Erkrankungen gehören nicht zu den anzeigepflichtigen. Imwieweit ist der
Alrzt haftpflichtig oder strafbar, wenn infolge seines Eingreifens der Träger der Krank-
heit in seinem Vermögen geschädigt wird? Einstweilen haben die richterlichen Entschei-
dungen mit dem Begriff der Notwehr, welche eine strafbare Hapdlung ausschließt,
einzelne derartige Fälle erledigt.
Eine weitere Schwierigkeit ist durch eine Entscheidung des Reichsgerichts entstanden.
Dieses hat entschieden, daß die #s 223, 223 a und 224 (klörperliche Mißhand-
lung), auch auf den Arzt Anwendung finden, wenn eine Operation ohne Einwilligung
des Patienten vorgenommen ist. Da es sich bei dieser Auslegung im Fall der Verur-
teilung um drohende Gefängnisstrafe handelt und die Bestrafung auch Ansprüche nach
dem bürgerlichen Gesetzbuch zur Folge hat, so ist diese Entscheidung von schwerwiegender
Bedeutung. Arztliche Rücksichtnahme auf den Seelenzustand eines Kranken haben
gelegentlich dazu geführt, die Schwere des Leidens und die bevorstehende notwendige
Operation zu verheimlichen. Dabei kam auch wohl der Wunsch in Betracht, durch Ver-
meidung seelischer Aufregungen den Verlauf des Falls günstiger zu gestalten. Wenn
auch gewiß dem Menschen die Verfügung über seinen Körper nicht entzogen werden
darf, so kann es doch Fälle geben, in welchen die aus dem Strafgesetzbuch sich ergebenden
Richtlinien für das- Verhalten des Arztes eine augenblickliche Grausamkeit gegen einen
Kranken darstellen.
die Gesetzgebung.
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