Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
272 Die soziale Medizin und soziale Hygiene. X. Buch. 
  
Unter den Schutzmaßregeln gegen die Verbreitung einer an- 
steckenden Krankheit steht an erster Stelle die gesetzlich mögliche 
Absonderung der ansteckungsfähigen Person, weiterhin die gesundheitspolizeiliche UÜber- 
wachung des Vertriebs von Gegenständen, welche geeignet sind, die Krankheit zu über- 
tragen, die Uberwachung der in der Schiffahrt und der Flößerei und in Transport- 
betrieben tätigen Personen, die Sorge für ein wandfreies Trink- und Bade- 
wasser, resp. das Perbot der Benutzung verdächtigen Wassers, die Räumung und 
Desinfektion von Wohnungen, die Vertilgung von Ratten und Mäusen, welche 
Träger der Krankheitserreger sein können, die Kontrolle der Seeschiffer sowie der ein- 
wandernden Personen. Zu diesen allgemeinen Maßnahmen kommen noch diejenigen 
für die einzelnen Erkrankungen hinzu. 
In der Hamburger Tholeraepidemie erwies sich die Verabreichung von einwandfreiem 
Trinkwasser an die Bevölkerung als die wichtigste Aufgabe. Da das Leitungswasser ver- 
seucht und die Sandfiltrationsanlage noch nicht fertiggestellt war, wurde gekochtes und 
abgekühltes Wasser an den verschiedensten Stellen der Stadt an die Bevölkerung ab- 
gegeben, ebenso Wasser aus artesischen Brunnen. Im Herbst 1893 war die Wasser- 
versorgungsanlage durch Sandfiltration fertiggestellt, aber durch einen unglücklichen 
Zufall brach unreines Elbwasser in die neue unter der Elbe geführte Wasserleitung 
für einige Tage ein, und 48—72 Stunden später traten wieder die ersten Cholerafälle, 
14 Tage später Typhusfälle auf, ein Beweis, welche Bedeutung für beide Erkran- 
kungen dem Wasser zukommt. HOoch blieben die Cholerafälle vereinzelt, ebenso wie die 
1905 und 1906 von Rußland und der Weichsel eingeschleppten Fälle. 
Die Pest ist bisher nur vereinzelt in Deutschland eingeschleppt worden; die ein- 
zelnen Fälle und die Verdächtigen wurden sofort isoliert, die Schiffe und alles was 
verdächtig war, wurde desinfiziert, die Ratten der Schiffe, welche vielfach Träger 
der Pestbazillen sind, wurden möglichst vergiftet. Den sorgfältigen und energischen 
Maßnahmen dürfte es zuzuschreiben sein, daß wir bisher von einer Seuche verschont 
blieben. 
Gegen das Gelbfleber gelten vor allem Vorschriften, welche die Behandlung ver- 
dächtiger Seeschiffe betreffen, Desinfektion der Räume mit möglichster Abtötung der 
Stechmücken. Die Pocken haben noch 1871—1872 in einer großen Epidemie geherrscht; 
in Preußen allein starben in dieser Zeit 149148 Personen an Pocken. Seit der kon- 
sequenteren Durchführung der Zennerschen Kuhpockenimpfung kommen meist nur 
vereinzelte Fälle vor. Aber diese zeigen, wie leicht und wie schwer ungeschützte Personen 
erkranken können. Ese ist gegenüber der Pockengefahr unbegreiflich, daß es noch immer 
Gegner der Impfung gibt. Ein Arzt dieser Art, in Frankfurt, welcher einen Pocken fall 
nicht anzeigte, hat nicht nur die Erkrankung auf andere übertragen, sondern ist auch selbst 
an den Pocken erkrankt — hoffentlich von seinem Wahn nunmehr bekehrt. Jedenfalls 
haben die häufigen und unschädlichen Impfungen aller, welche im Eppendorfer Kranken- 
haus mit Pocken in Berührung kommen, dazu geführt, daß im Krankenhaus selbst Uber- 
tragungen nicht vorgekommen sind. Einmal hat ein Straßenarbeiter durch verbotene 
Berührung von Watte in einem Verbrennungsraume des Pockenpavillons die Krankheit 
Schutzmaßregeln. 
  
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