Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
106 Allgemeine Naturwissenschaft; Botanik; Abstammungslehre. X. Buch. 
  
also die feste Ninde unfres Planeten neptunischen Ursprungs. Nur die jüngste Erdfor- 
mation, das Diluvium, macht hiervon eine Ausnahme: es wird von der modernen Geo- 
logie gedeutet als die Grundmoräne eines Niesengletschers, der einst vom Nordpol aus 
die nördlichen Tiefebenen Europas, Asiens und Amerikas überzog. Nach dem Abschmelzen 
dieses „Znlandeises“ ergab sich ein für das Gedeihen von Pflanzen und Tieren geeigneter 
Boden, während das fruchtbare Erdreich anderer Gegenden Verwitterungskruste der 
Gebirge, Schwemmland des Meeres und der Flüsse oder vom Wind zusammengeblasener 
Staub ist, wie der Löß des Rheintals und Chinas. 
Die Petrographie und Mineralogie, ursprünglich Beschreibung der Gesteine bis auf 
ihre mikroskopischen und chemischen Bestandteile hinab, wobei der Kristallographie beson- 
ders zu gedenken ist, hat in den letzten JLahrzehnten durch Einführung der experimentellen 
Methode eine neue Richtung gewonnen; man sucht experimentell die Bedingungen zu 
ermitteln, unter denen die Gesteine entstanden sind, und man sucht Gesteine und Mine- 
ralien künstlich aus ihren Bestandteilen herzustellen, was bis dahin nur den geologischen 
Prozessen gelungen war, die einst in säkularer Dauer die Bedingungen für Bildung der 
Minerale schufen. 
Vor allem war die Aufmerksamkeit der Geologen von jeher den 
Kesten von Pflanzen und Tieren zugewandt, die in sämtlichen 
Erdschichten oberhalb der kristallinischen Schiefer gefunden werden; und wenn auch 
die Grundlagen der Paläontologie bereits vorher feststanden, hat doch unfre Epoche 
für die Kenntnis der in der Erdrinde begrabenen Organiemen viele und wichtige 
Arbeit geleistet. Insbesondere ist es gelungen, über die ältesten Menschen ein weit 
belleres Licht zu verbreiten, als noch vor 25 Jahren bestand. Wir wissen jetzt mit 
Sicherheit, daß im mittleren Diluvium und auch wohl in den oberen Schichten des 
Altdiluviums der Aensch in zwei Rassen über Mitteleuropa verbreitet war, deren 
eine, die sogenannte Neandertalrasse, jetzt in Europa nicht mehr vorkommt, während 
die zweite Rasse nach Schädel- und sonstiger Knochenbildung als die Vorfahren der 
heutigen Europäer angesprochen werden kann. Wir wissen aber, namentlich aus den 
unschätzbaren, in den Höhlen der Dordogne aufgedeckten Funden, daß die ältesten Men- 
schen, von denen wir sichere Kunde haben und mehr oder weniger gut erhaltene Skelette 
oder Skeletteile besitzen, bereits einer primitiven Kultur sich erfreuten, daß sie Werkzeuge 
verfertigten, daß sie Techniker, Erfinder, ja selbst Künstler gewesen sind. Wenn einige 
Anthropologen aus den in tertiären Ablagerungen gefundenen Steinsplittern den Schluß 
ziehen möchten, daß, weil sie diese sogenannten Eolithen als menschliche Artefakte deuten, 
auch schon in der dem Diluvium vorausgegangenen Tertiärzeit Menschen gelebt hätten, 
so begegnet solche Hopothese solange dem Zweifel, als keine Reste menschlicher Skelette 
im Tertiär gefunden sind, und nicht auszuschließen ist, daß die tertiären Eolithen vielmehr 
einer lokalen geologischen Katastrophe, als der bewußten Tätigkeit eines Werkzeuge bilden- 
den Menschen ihren Ursprung zu danken haben. 
Der Ursprung des Mencchen, der Ursprung und die Urgeschichte der Tiere und Pflan- 
zen bilden das große Problem, mit dem sich die Evolutions- oder Abstammungslehre befaßt. 
Paläontologie. 
  
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