Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
280 Die soziale Medizin und soziale Hygiene. X. Buch. 
  
im Jahre 1890 auf 15,59% im Jahre 1900 und auf 14,9 im Jahre 1912 auf 10 000 Le- 
bende gerechnet, gesunken, ein geradezu überraschender Erfolg. Hoffentlich gelingt es 
auch fernerhin die Tuberkulose erfolgreich zu bekämpfen. 
Die Syphilis und ihre Bekämpfung. 
Die zweite wie in allen Kulturstaaten so auch in Deutsch- 
land ständig vorhandene Volksseuche, die Syphilis, hat in 
den letzten Zahrzehnten in diagnostischer und therapeutischer Beziehung ganz wesent- 
liche Fortschritte aufzuweisen. Man wußte zwar seit langer Zeit, daß der Erreger der 
Seuche ein Mikroorganismus sein müßte, der vorwiegend im engsten Verkehr von 
Menschen zum Menschen übertragen würde. Aber erst Schaudienn und Hoffmann 
gelang es als regelmäßigen Befund in den verschiedensten spphilitischen Produkten 
eine wohlcharakterisierte Spirochäte zu finden, der sie den Namen Spirochaeta. 
pallida gaben. Dieser Befund wurde von den verschiedensten Nachuntersuchern bestätigt 
und auch bei angeboren luetischen Kindern, sowie bei Affen, welche mit Syphilis 
infiziert waren, erhoben, während Spirochäten bei Nichtspphilitischen niemals konstatiert 
werden konnten. In der Folgezeit ist es auch gelungen diese Spirochäten bei Erkran- 
kungen des Zentralnervensystems aus spphilitischer Ursache wie der Dementia paralytica 
und der Tabes dorsalls nachzuweisen, ferner dieselben künstlich zu züchten und mit 
der Kultur Sopbilise bei vielen Tieren hervorzurufen. Ein weiterer wesentlicher Fortschritt 
beruht auf der von Wassermann entdeckten Methode, durch Untersuchung des Blut- 
serums von Menschen zu erforschen, ob der Betreffende an Syphilis gelitten hatte 
oder noch Reste der Syphilis im Blut zeigte. Die Ergebnisse dieser Methoden wurden 
zwar vielfach in Zweifel gezogen, aber nur bei frischen Scharlachfällen konnte eine ähnliche 
Serumreaktion erzielt werden, so daß die Wassermannsche NReaktion eine der wichtigsten 
Untersuchungsmethoden auf das Vorhandensein von Resten einer spphilitischen Erkran- 
kung geworden ist. Die dritte große Entdeckung auf dem Gebiete der Syphilis verdanken 
wir Ehrlich und seinem Schüler Hata, die das von ihnen gefundene Arsenikpräparat 
Salvarsan 1910 in die Behandlung einführten. Es kann heute keinem Zweifel unter- 
liegen, daß das Präparat bei entsprechender Anwendung mit Einspritzung in eine Vene 
dbas beste Heilmittel der Syphilis darstellt, daß es viele Fälle allein und rasch zur Heilung 
führt, während in anderen eine Nachbehandlung mit den älteren Mitteln, Quecksilber 
und Zod sich empfiehlt. Die allgemeine und energische Durchführung der Salvarsanbe- 
handlung läßt hoffen, daß mit der besseren und rascheren Heilung auch die UÜbertragung 
der Spphilis immer seltener wird. 
Erreger der Seuche. 
  
Gefahr der Seuche. Heute gehört allerdings die Syphilis deshalb noch zu den 
gefährlichsten Seuchen, weil sie ihre deletären Wirkungen 
teilweise ganz schleichend entfaltet. Von den vielen sophilitischen Erkrankungen 
sei nur eine erwähnt, die Dementia paralytica (vielfach fälschlicherweise als Größen- 
  
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