Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

Die landwirtschaftlichen Wissenschaften 
I. Entwicklung der Landwirtschaft und ihrer Wissenschaft 
Won Geheim. Regierungsrat Hrofesser Dr. F. Wohltmann, Direktor des Landwirtschaft- 
lichen Instituts der Universität Halle 
Allgemeines. 
Aufschwung. Wie im Leben eines Menschen, so gibt es auch im Leben eines Volkes 
Zeiten, in denen alle geistige, wirtschaftliche und politische Bewegung 
ruhig dahinfließt, und andere, die voller Gärung, häufig geradezu ruckweise, die Entwick- 
lung vorwärts schnellen. In einer solchen befindet sich unser Vaterland seit über einem 
Menschenalter. Einem angeschwollenen Strome vergleichbar stürzt unsere Kultur augen- 
blicklich vorwärts, alles mit sich reißend und alles in Hast und fast nervöse Erregung ver- 
setzend. Dies gilt auch für die deutsche Landwirtschaft. Sie hat, trotzdem sie das konser- 
vatioste Element des Staates ist, wenn auch nicht die alten Bahnen aufgegeben, so doch 
ein ganz neuzeitliches Gewand angelegt. Die Gründe bierfür und für den großartigen 
Aufschwung, welchen sie genommen, liegen naturgemäß sowohl in dem Gesamtaufschwung 
des ganzen Volkes als auch in der rührigen geistigen Tätigkeit der Landwirte selbst und der 
landwirtschaftlichen Wissenschaft, welche sich beide in der langen Zeit des Friedens frei 
entfalten konnten. Dazu kamen die Gunst der Witterung und die guten Frucht- und 
Biehpreise der vier letzten Jahrzehnte. 
  
Witterung und Preise. Wenngleich auch vereinzelt trockene Jahre, wie besonders 
1911, die Ernten Deutschlands in einigen Gegenden sehr 
herunterdrückten, so daß im Jahre 1911 in der Provinz Sachsen geradezu eine Mißernte 
der Rüben und Kartoffeln vorlag, so waren doch im allgemeinen die Winterfeuchtigkeit, 
sowie die Witterungsverhältnisse während der Begetationszeit in den letzten Dezennien 
für die Landwirtschaft recht günstig und hatten gute Ernten zur Folge. Sie brachten dem 
Landwirte das Kapital ein, welches zur Aufbesserung der Wirtschaft unbedingt erforderlich 
war, zumal auch die Getreidepreise seit dem Zahre 1871—1892 fast durchweg sehr hoch 
waren. Es folgte dann freilich ein starker Preisrückgang bis zum Jahre 1905; seitdem 
haben sich jedoch die Kornpreise in guter Lage erhalten. Die niedrigen Preise in der Zeit 
von 1895—1905 brachten zwar manchem Landwirt große Sorge und viele Not, aber gerade 
diese sind ja die besten Förderer der Kultur und regten ihn daher wie auch die Wissen- 
schaft zu fleißiger Arbeit und vermehrtem Fortschritt an. 
Auch die Viehpreise waren für den Landwirt günstige und in ständigem Steigen be- 
  
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