X. Buch. V. Elektrotechnik. 371
satz zu denken, der in den 90er Jahren zwischen elektrotechnischer Wissenschaft und wirt-
schaftlicher Elektrotechnik entbrannte. Die Galvanometer der älteren Art benützten als
beweglichen Teil eine durch das magnetische Feld der Erde gerichtete Magnetnadel.
Die von den modernen Starkströmen, insbesondere den Strömen elektrischer Bahnen
hervorgerufenen magnetischen Felder waren nun so stark, daß sie auf weite Entfernungen
hin das erdmagnetische Feld beeinflußten; eine Messung mit empfindlichen Nadel-
galvanometern war dabei überhaupt nicht mehr möglich. Bei den Drehspuleninstru-
menten ist aber das von feststehenden Stahlmagneten geschaffene Magnetfeld so stark,
daß die Beeinflussungen durch Bahnströme nicht bemerkbar sind. Ourch sie sind
die wissenschaftlichen Laboratorien davor bewahrt worden, aus den Städten gedrängt
zu werden und schließlich — wie es Kohlrausch in jener Zeit einmal in humoristischer
Ubertreibung ankündigte — in die Lüneburger Heide auszuwandern.
Eine andere Gefahr der Bahnströme besteht in den sogenannten vagabundieren-
den Strömen, welche, während sie als Rückströme der elektrischen Straßenbahnwagen
eigentlich in den Schienen zum Kraftwerk zurückfließen sollten, die Schienen verlassen
und an irgendwelchen Stellen in Gas- oder Wasserleitungen oder in die Bleimäntel
elektrischer Leitungen eindringen, um aus diesen in der Nähe des Kraftwerks wieder aus-
und in die Schienen zurückzufließen. An diesen Austrittsstellen zerstören sie die von ihnen
vorher durchflossenen Metalleiter durch elektrolptische Wirkung. Es ist ein großes Ver-
dienst des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern unter Lindley und
Bunte, diese Gefahr gründlich geprüft und in Verbindung mit dem Verbande Deutscher
Elektrotechniker und dem Verein Deutscher Straßenbahn- und Kleinbahnverwaltungen
Maßnahmen zu ihrer Beseitigung vorgeschlagen zu haben. Die Gefahr kann als be-
seitigt gelten, viel haben hierzu die neuen Meßverfahren von Haber beigetragen.
Im Jahre 1888 und noch mehrere Jahre später gehörten zur elektrischen
Ausrüstung eines Elektrizitätswerks nur die Generatoren, einige von
Hand einstellbare Regulierwiderstände, die fast nie fehlenden Akkumulatoren mit ihren
Zellenschaltern und die Meßinstrumente, alles zusammengestellt nach einem der von
der Akkumulatorenfabrik in Hagen ausgearbeiteten Schemata, die Licht in das da-
mals noch sehr dunkle Gebiet der Schaltungsschemata gebracht hatten. Die Apparate und
Instrumente wurden auf einem sogenannten Schaltbrett untergebracht. Gegenwärtig ist
ein Elektrizitätswerk erheblich mannigfaltiger ausgerüstet mit einer großen Zahl von Hilfs-
maschinen und Hilfsapparaten, welche den Betrieb wirtschaftlicher und genauer ge-
stalten. Dazu gehören die Ausgleichmaschinen zum Ausgleichen der Spannungen im Drei-
leiterspftem, die Zusatzmaschinen zum Laden von Akkumulatoren, die Puffermaschinen
zur Regelung des Parallelarbeitens von Generatoren und Akkumulatoren, ferner
die Induktionsregler, Regulierapparate für Wechselstrom, um die Spannung zu ver-
mindern oder zu erhöhen, Reguliertransformatoren und Ausgleichtransformatoren,
welche in Wechselstromanlagen eine ähnliche Aufgabe wie die Ausgleichmaschinen in
Gleichstromanlagen erfüllen. Bei diesen Regulierapparaten ist auch der Schnellregler
zu gedenken, die 1903 von dem Amerikaner Tirrill ersonnen, von der deutschen Wissen-
Anlagen.
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