Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. « VI. Städtebau. 377 
  
reiche Männer der Wissenschaft, der Kunst, der Verwaltung haben sich mit dem Städtebau 
beschäftigt, die früheren Grundsätze weiter ausgebilbet und Anregungen aus einzelnen 
Städten gegeben. Ferner wurde durch Sammelwerke, Kongresse und Wettbewerbe die 
Bedeutung des Städtebaues als einer technischen Wissenschaft eindringlich dargetan. 
Insbesondere sei der Versammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur- 
vereine 1906 zu Mannheim gedacht, für deren Beratungen einer der Berichterstatter des 
Jahres 1874, Baumeister, wiederum „GErundsätze des Städtebaues“ aufgestellt hatte. 
Ebenso umfassend wie Schrift und Wort haben die Ausstellungen von Zeichnungen und 
Modellen gewirkt, welche seit einigen Zahren in großem Umfang gebräuchlich geworden 
sind: Berlin, Dresden, ODüsseldorf, Leipzig. 
Oie weitere Darstellung der Entwicklung des Städtebaues soll nunmehr nach seinen 
einzelnen Aufgaben getrennt erfolgen. 
Nach heutiger Anschauung soll ein Bebauungsplan nicht nur 
dem „Bedürfnis der näheren Zukunft“ entsprechen, wie früher 
vorgeschrieben wurde, sondern auf große Entfernungen die Grundzüge für Verkehrs- 
mittel aller Art nebst Entwässerung enthalten, genügende Freiflächen und Baustellen 
für öffentliche Gebäude, nach Umständen auch vorhandene oder beabsichtigte Vororte 
einschließen. Nur so läßt sich der organische Zusammenhang sichern und Mängeln vor- 
beugen, deren spätere Verbesserung recht kostspielig ausfallen könnte. Auch in ästhetischer 
Hinsicht ist eine Stadt möglichst als einheitliches Kunstwerk aufzufassen. Die Feststellung 
der Einzelheiten folgt in Spezialplänen nach Bedarf, um künftigen Bedürfnissen nicht 
vorzugreifen und um die Baulust tunlichst zu regeln. Von diesem Standpunkte war z. B. 
1908 der Wettbewerb für Großberlin ausgeschrieben, werden jetzt Generalpläne für Köln, 
Düsseldorf, Leipzig veranstaltet und ist auch in Ueineren Orten das Vorgehen zu emp- 
feblen. 
Ein weiterer Grundsatz besteht darin, von vornherein gewisse Straßen oder Bezirke 
vorzugsweise für Wohnhäuser, Geschäftshäuser, ländliche Wohnungen, auch Kleinwoh- 
nungen, für Industrie und Handel zu bestimmen. Um diese soziale Gruppierung herbei- 
zuführen, dienen geeignete Lage, zweckmäßige Verkehremittel, passende Blockgrößen. 
Als eigentliche Zwangsmittel kommen baupolizeiliche und gewerbliche Vorschriften in 
Betracht, durch welche insonderheit in Wohnbezirken nicht bloß eigentliche Schädigungen, 
sondern schon Belästigungen durch Nauch, Handwerkslärm, Läden und Wirtschaften fern- 
gehalten werden können. 
Was die Anordnung des Straßennetzes betrifft, so war vor unserer Berichtsperiode 
das Rechtecksystem für Stadterweiterungen, selbst bei großem Umfang und auf hüge- 
ligem Gelände, fast allgemein üblich. Es ist aber teils aus ästhetischen, teils aus praktischen 
Gründen (Verlängerung aller Wege) zu verurteilen, außer für kleinere und langgestreckte 
Aufgaben. Statt dessen gilt jetzt vor allem der Grundsatz, Hauptstraßen und Neben- 
straßen Uar zu unterscheiden. Von den ersteren kommen gewöhnlich radiale Straßen in 
die Umgebung in Betracht, sodann Ringstraßen, um den Verkehr zwischen Außenbezirken 
aufzunehmen und den Stadtkern nicht zu überlasten, endlich Diagonalstraßen zwischen 
Bebauungsplan. 
  
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