Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
XI. Buch. Baukunst. 27 
  
von dem Wollen der Aufgabe, schuf daraus das Neue. Denselben Weg zum Individua- 
lismus können wir auch auf dem Gebiet des architektonischen Denkmals beobachten. Von 
dem Denkmal, das durch die Häufung des Inhalts zerrissen ist, — bis zu der großen ppra- 
midalen Lösung des Schmitzschen Völkerschlachtdenkmals bei Leipzig, für das Metzner 
die Figuren, als Teile der Architektur gebildet hat, führt ein Weg, den Hildebrandt in 
seinem „Problem der Form" theoretisch, in seinem Wittelsbacher Brunnen (1895) in Mün- 
chen praktisch als erster zielbewußt gewiesen hat, den dann aber hauptsächlich Fritz Schu- 
macher mit seinen groß empfundenen, in der Silhouette klaren Studien weitergegangen 
ist, und der in der Erkenntnis gipfelt, daß erst dann von einem künstlerisch fertigen Denk- 
mal gesprochen werden kann, wenn die gleichen Gesetze, die die Baukunst groß und un- 
vergänglich machen, auch die Skulptur beherrschen, wenn die letztere, wie Scheffler sagt: 
vim Schatten großer Baumassen lebendig wird“. 
Diesem drängenden Individualismus steht nun 
bis in die Gegenwart hinein eine Reihe von 
romantisierenden Akademikern gegenüber, die aufs engste Anschluß an das 
deutsche Mittelalter anstreben und zwar so, daß sie den Willen der neuen Zeit in die 
Formen jener Vergangenheit zwingen wollen. An ihrer Spitze Carl Schäfer. Schäfer 
war als Lehrer zunächst (bis 1878) in Berlin, damn in Karlsruhe tätig. In den 70er 
Jahren war er Universitätsbaumeister in Marburg gewesen, wo er in gotischem Stil die 
Hochschule neu baute. Sein hervorragendes Wissen auf dem Gebiete mittelalterlicher 
Baukunst verstrickte seine ursprünglich individuelle Befähigung (er hatte in Berlin das 
Geschäftshaus Eauitable erbaut) in den Bann dieses von ihm mit Begeisterung gebrachten 
Lehrzweiges. Allerdings soll nicht verkannt werden, daß den kräftigen Hinweisen Schäfers 
gerade aufs Werktechnische in der Baukunst ein Auftrieb auf dem Gebiete des kon- 
struktiv logischen Schaffens zu danken war, der besonders bei denjenigen „Schäfer- 
schülern“, die sich im Laufe der Zeit vom Zwang der historischen Form losmachen konnten, 
von unmittelbarem Segen sein sollte. Von Jahr zu Jahr wuchs um Schäfer die Schar der 
Schüler, die ihn hoch verehrten, der Bann der mittelalterlichen Baukunst verstrickte sie 
aber allzusehr in seinen Kreis, so daß sie den Bestrebungen nach ureigenem, neuzeit- 
geborenem Ausdruck in der Architektur immer fremd und skeptisch gegenüberstanden. 
Die Kraft dieses Bannes suggerierte Schäfer am Ende so sehr, daß ihm nicht mehr und 
nicht weniger am Herzen lag, als die verschwundene Romantik in Deutschland wieder- 
aufzubauen, eine Zdee, die etwa ein Theodor Fischer im AUniversitätsbau in Fena mit 
großem Geschick dem Geiste der neuen Zeit kopulieren konnte, der aber bei dem form- 
befangenen Gotiker zu starken Widersprüchen, und zwar inneren Widersprüchen mit 
dem wirtschaftlichen Zweckgedanken führen mußte. Sein Freiburger Schwabentor ist 
ein Beispiel für solch ungelungenen Versuch, es steht verlassen und hilflos im Getriebe 
der modern geschäftigen Stadt, kein künstlerischer Wille bindet es an seine Umgebung. 
Solch Einordnen eines Werkes in die Umgebung ist Schäfer bis zuletzt fremd geblieben. 
Ein eigentliches allgemeines Aufsehen in Deutschland provozierte er durch seine Restau- 
ration des Heidelberger Friedrichsbaues. Wie seine Zeit der Restaurationsfrage gegen- 
Die letzten Bauromantiker. 
  
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