Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
Xl. Luch. — 20 
  
wie hier die Absicht. Es mußten aber zwanzig Jahre ins Land gehen, ehe die allzu abstrakt 
aufgefaßte Meinung des handwerklich-begeisterten Engländers das Getriebe europäüscher 
Kunstgewerblerei passiert hatte und endlich für das deutsche Volk fruchtbar und gebrauchs-- 
fertig wurde. Es mußten aber auch noch andere und für die deutsche Kultur wichtigere 
Vorgänge passiert sein, als sie Morris, der „bewußteste Kämpe'tl) der Romantik, ins Leben 
gerufen hatte. Vor allem mußte Wien, mit seinem Führer Otto Wagner, zeigen, daß 
wie dieser selbst sagte:), „der einzige Ausgangspunkt unseres künstlerischen Schaffens nur 
das moderne Leben sein kann“. Mit dieser Behauptung schritt er mit einem Male viel 
weiter aus, als Morris mit der gotisierenden Handwerklichkeit, als die Flächenmalereien 
des Japanismus von Frankreich her, und als die leere Form Van de Beldes je vermochten, 
für die erst nach einem Inhalt gesucht werden mußte, daß sie bestände. Oie kecke Tat, 
die Losef M. Olbrich mit seinem Ausstellungshaus für die Sezession in Wien vollbrachte, 
zeigte viel frischer als alle Linienphilosophiererei den Weg zur kulturlebendigen Form, 
vor allem: sie fand nicht Nachahmer, sondern richtigen Widerhall, sie zwang nicht zu 
neuerlichem Formschaffen, sondern sie befreite zu frischer Tat. 
Aeue Versuche. Das Verdienst van de Beldes, das sich in seinen kunfstgewerb- 
lichen Metallarbeiten mehr als in seinem tektonischen Schaffen 
offenbart: die Linie befreit zu haben von dem Zwange traditioneller Stilform, 
ist unbestritten und wurde in den Tagen, da er Deutschland damit überraschte, 
freudig von den Vorwärtsstrebenden anerkannt, es wurde aber andrerseits auch bald 
deutlich, daß seine prophetisch und gebieterisch gegebene Losung von der Logik 
zwischen Material, Werkzeug und Konstruktion eine Inkonsequenz zu der von ihm 
diktierten abstrakten Linie bedeutet.)) Oieser rein persönliche Künstler konnte auch 
kein Lehrer sein. Das Gemeinsame, das die Wiener Schule band, fehlte hier — er 
erzog wohl begeisterte Fünger, aber keine Zeit, keine Mitwelt. Daher kommt es, daß 
vielfach fälschlich das Bestgewollte mit jenem Zugendstil verwechselt wird, den uns um 
die Mitte der neunziger Jahre, von Paris her beeinflußt, München bot, jenes München, 
das bis heute im Dualimus traditionellen Schaffens und Sichlosreißens vom Alten lebt. 
Stucks Billa in hellenischem Empfinden, aber durchaus selbständig, steht hierzu in llarem 
Gegensatz. Immerhin war die Münchner Bewegung, die durch die damals (1895—96) 
gegründeten Zeitschriften, Pan und Zugend, nach außen bin eine große Verbreitung 
erhielt, nummehr mit im Strome des neuen Stilwollens zu finden, zunächst auf dem 
Gebiete des Buch- und Flächenschmucks, und des Kunstgewerbes. 
  
Has Eisen in der Baukunst. Vevor die Baukunst mit in den Kreis des neu- 
bildenden Willens gezogen werden konnte, mußte 
sie aber noch eine schwierige Etappe durchmachen, die der „Linie“. Die Kunst, in 
Eisen zu bauen, war von den Franzosen am erfolgreichsten gepflegt worden, 
  
1) S. Meier-Gräfe, Entw.-Gesch, der modernen Kunst, Stuttgart, 1904. 
9 Otto Wagner, moderne Architektur. 
2) Der neue Stil, Weimar, 1907. 
1561
	        
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