Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
XI. Buch. Baukunst. « 33 
  
Darmstädter Bemühung darf aber nicht bestritten werden: daß sie einen neuen gang- 
baren Weg in die Zukunft der Baukunst gewiesen hat, daß sie Anstoß gegeben hat in 
ganz Deutschland zu ähnlichen Zusammenschlüssen im Sinne der neuzeitlichen Kultur- 
betätigung. Stuttgart gründete schon 1902 die „Lehr- und Versuchswerkstätten“ mit 
Pankok an der Spitze, Theodor Fischer wurde aus München berufen und begann als 
Professor wie als Baumeister seinen Einfluß auf das Bauen Stuttgarts auszuüben. 
Magdeburg, Nürnberg und Berlin schufen ebenfalls Zentren für das neue Kunst- 
gewerbe. 
Oie deutsche Kunstgewerbebewegung war also in Fluß gebracht! 
Mit diesem Auftrieb geriet auch die bieher 
ästhetisch überhaupt nicht — oder nur negativ, 
also hemmend, gewertete Industrie in Be- 
wegung, sie suchte zum Kunstgewerbe eine neue Stellung einzunehmen, suchte 
die Frage nach der Qualität mehr als bisher geschehen zu berücksichtigen und suchte 
zunächst auf den Ausstellungen, den Gradmessern der Qualitätsarbeit, das Publikum 
von ihrer Leistungsfähigkeit zu überzeugen. Gewonnen wurde durch diese Kunstgewerbe- 
ausstellungen zweierlei: einmal die Aufmerksamkeit des Publiküms, in dem allmählich 
ein Interesse am deutschen Kunstschaffen überhaupt erwachte, und dann die mit 
jeder Ausstellung mehr fortschreitende Säuberung von Originalitätssucht und Protzen- 
tum. Besonders zur Dresdner Ausstellung 1907 wurde Bruno Paul in seinem Werte 
zum ersten Male allgemein deutlich erkannt. Seine Berufung nach Berlin bedeutete 
damals — um 1907 — kunstpolitisch etwa so viel, wie handelspolitisch die Berufung 
Dernburgs. Es wurde der persfönliche Wille, das ohne alle Modernitätssucht, aber auch 
ohne alle unwahren Zugeständnisse gesund empfindende Künstlergefühl mit dieser Be- 
rufung vom Kaiser offiziell anerkannt. In der Tat erfreut Pauls Schaffen durch die 
klare und solide Weise in der Innenkunst, die auf alle spitzfindigen, in die Möbel 
hineingeheimnister Linien zugunften technisch gerechtfertigter Darstellung verzichtet, 
und die auf der Dresdner Ausstellung wie ein wohltuender Gegensatz wirkte zu 
den räumlich verfehlten Gaben der Zugendstilisten — die last not least auch 
wieder Beziehungen zeigten zur Tradition, gewissermaßen hinweg über die Darmstädter 
Versuche. 
„Weitere Entwicklung der Kunst in erster Linie nach der Seite des Geschmacks hin 
und freies Studium der Kunst der Vergangenheit zur Wiedergewinnung einer festen Basis, 
das sind wohl die Hauptweisungen, die die Resultate der Dresdner Ausstellung den 
schaffenden Künstlern für die Zukunft mit auf den Weg geben“, so wurde damals ge- 
schrieben. Zugleich aber wurde deutlich erkannt, daß die Kunstindustrie in „ganz er- 
schrecklicher“ Weise versagt hatte. Die Folge dieser Erkenntnis war, daß zunächst in Sachsen 
eine Landesstelle für Kunstgewerbe gegründet wurde, und daß München — besonders 
auf Anregung von Richard Riemerschmid —1908 und noch deutlicher 1912— mit einem 
ganz neuen Ausstellungssystem auf den Plan trat, aus dem das Hand in Hand Gehen der 
Industrie, der Kaufmannschaft und der Künstler klar zu erkennen war. „Die Münchner 
Kunstgewerbe und Industrie. 
Qualitätsarbeit. 
  
  
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