46 Malerei und Plastik. XlI. Buch.
Dem Deutschen Reiche wurden dadurch die Mittel geboten, auch der Repräsentations-
pflicht seiner Machtstellung zu genügen. Die also nicht zum mindesten von politischen
Gesichtspunkten aus energisch betonte Neigung zur Prachtentfaltung mußte allerorten
die Anteilnahme an künstlerischen Fragen mächtig steigern. Es darf festgestellt werden,
daß Kaiser Wilhelm II. nicht nur der nie ermüdende Freund und Gönner der bildenden
Künste gewesen, sondern auch der starke Anreger für hoch und niedrig im ganzen Oeutschen
Reich geworden ist. Das Deutsche Reich konnte ferner erst von dieser Zeit an mit un-
gehemmter Kraft in den internationalen Wettkampf eingreifen. Ourch den allen ständig
bewußter werdenden Gegensatz der im besonderen Sinne deutsch-europäischen und über-
seeischen Interessen erwuchs eine Uberschau über die ganze bewohnte Welt in so großen
Bruchteilen unseres Volkes wie nie zuvor. Allgemeingut wurde in steigendem Maße
das Verständnis für Weltgeschichte. Das stetig wachsende völkische Bewußtsein ließ
die Deutschen, zu ihrem GElück, in schnellerem Tempo immer mehr Tatsachenmenschen
werden. Jedes bewußte Streben nach einem bestimmt erfaßten Ziel muß aber Schroff-
heiten auf sich nehmen; deshalb kann es uns kaum wundern, daß gerade in dieser
Zeit unbedingt gewollten Aufstieges auch die Künstler in Deutschland rücksichtslos über
Bord warfen, was ihr Schiff beschwerte und hemmte. Radikal, wie die kraftbewußte
Zugend ist, wurde aller „Atelierplunder“, wurden alle Kostüme und Farbenrezepte
wie historische Uberlieferungen jeder Art zum alten Gerümpel gepackt, und hochauf-
atmend setzte der Maler sich der Natur gegenüber, in die vom farbenfressenden Sonnen-
schein überleuchtete freie Gotteswelt. Hier floß der Born der Kunst, nicht im Atelier,
wo der Künstler die Sage oder die Dichtkunst mit vielem Können, aber innmerlich unfrei
als Stilist illustrierte. Um unbedingt aller Berführung der Gedankenmalerei zu ent-
fliehen, bevorzugte der Maler die alltäglichsten, reizlosesten Motive, suchte die Natur
in ihrem schlichten Alltagsgewand auf. Oiese Richtung, einfache Vorwürfe zu bevor-
zugen, bestand übrigens längst, insbesondre in der Münchener Schule, die Tendenz
wurde jetzt nur schäfer betont, fast möchte ich sagen, spezialisiert, als Malerei von Kar-
toffelfeldern, Kohlfeldern, eines Stückchens Graben mit Heideland und ähnlichem mehr.
Die Art und Weise der Interpretation der Umwelt seitens der sogenannten Impressio-
nisten war allerdings eine grundsätzlich verschiedene. Sie wollten nicht das Auge be-
grifflich oder nach #Art eines Kurzsichtigen von einem Motio zum andern wandern lassen,
sondern im schlichten, schnellen Sehverkehr vom Subjekt zum Objekt nur das Wesent-
liche erfassen, mit Licht- und Tonwerten die Seele der Landschaft erwecken. Das im-
pressionistische Sehen sollte ein vergeistigtes, von aller Verstandesarbeit freies Wahr-
nehmen sein. Der Maler wollte elementar wirken, unbedingt aufrichtig sein; denn
durfte der Mensch sich herausnehmen, die Natur verbessern zu wollen? Das Selb-
ständigkeitsgefühl der einzelnen Künstler wuchs durch eine solche Auffassung fraglos,
denn es war überall ganz auf sich gestellt, insbesondre weil der Maler über den Entwurf
hinaus zu dem in sich abgeschlossenen fertigen Werk gelangen sollte. Die Aufgabe war
um so schwieriger, als die Malerei des lichtstarken Eindruckes in der Natur in erster Linie
darauf bedacht war, nach Möglichkeit jeweilig die Zllusion hervorzurufen, als verdanke
das Kunstwerk einem glücklichen Schöpferaugenblick sein Dasein. Hieraus darf man
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