56 Malerei und Plastik. XlI. Buch.
Arbeiten dieses Zeitabschnittes unter einem dem Freskostil abträglichen Zuviel an Raum-
illusion und malerischer Bewegtheit. Diesen Wandmalereien fehlt trotz vorzüglicher und
energischer Zeichnung, trotz starker Bewegung und bedeutender Gebärden, trotz sorg=
fältig zugespitzter Komposition und der Erzielung eines gewissen Freskotones die monu-
mentale Linien- und Flächenkraft, d. h. der Freskostil. Diese Werke berühren sich zu
sehr mit der Tafelmalerei. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob sie in altmeisterlicher
oder neuzeitlicher Art und Weise behandelt sind. #llerdings kann auch Tafelgemälden
Monumentalität eigen sein, aber stets nur in beschränktem Maße, weil sich hier durch
die Technik der Olfarbe der Alltag mit seinen vielen störenden Einzelheiten unwillkür-
lich einschleicht. Am einschneidensten mußte aber die Pleinairmalerei mit ihren Folge-
erscheinungen wirken, denn der Freilichtmaler kann nur Tafelmaler sein. Er sieht alle
Gegenstände gleichmäßig von der Atmosphäre im Raum umschlossen, deutet jede Einzel-
beit einzig den wesentlichen Formen nach an, läßt überall aufzehrend oder verhüllend
das Licht wirken. Das Fresko verlangt jedoch seinerseits starke führende Linien und
breite Farbenflächen, die für den ganzen mit einem einzigen Blick zu erfassenden Aufbau
des Werkes maßgebend sind. Sobald ein Schade erkannt ist, erwacht der Wunsch, ihn
zu beseitigen. So regt sich denn auch hier bereits seit ca. 1890 neues Leben. Den zeich-
nenden Künsten gebührt an dieser Stelle eine Hervorhebung und unter diesen vornehm-
lich der Lithographie wegen ihrer Erziehung zur großen Linie, zur ausdrucksvollen Massen-
gliederung und flächigen Farbenbehandlung. Als oberstes Gesetz gilt, in der Wand-
malerei die ganze Fülle „wissenschaftlicher“ Einzelforschung zu künstlerischer Sonthese
zusammenzufassen. Dies wäre — mücssen wir gerechterweise jetzt feststellen — nicht
in dem Maße möglich gewesen, wie es tatsächlich stattfindet, ohne jenes Vollsaugen der
Vorstellungskraft an bleibenden und schnell vorübergehenden Erscheinungen der ganzen
sichtbaren Welt, wie dies die einfallmäßige Kunst der Eindruckmalerei geboten hatte.
Seite an Seite mit modernsten Arbeitsergebnissen wirken die grundsätzlichen Lehren
des Trecento und des italienischen Quattrocento förderlich ein; vornehmlich für das
Erkennen der Raumfrage, wie der Farbenwerte des Freskos mit seinen ungebrochenen
kräftigen, aber kühlen Kontrasten und breiten Flächen gegenüber dem schmeichelnden
Glanze und der schimmernden Ourchsichtigkeit der Olfarbe. Auch ragt hier die neuzeit-
liche, gewaltige architektonische Entwickelung herein, welche von der in unerhörten
Maßen ihr abverlangten neuen Raumdieposition ihren Ausgang nahm. HOer archi-
tektonische Sinn, der alle Kunst heute wieder durchdringt, eröffnet auch der Wandmalerei
neue Möglichkeiten. Es muß schließlich in diesem Zusammenhang mit einem Worte der
modernsten Glasmalerei gedacht werden, weil sich in dieser ein hervorragend sicheres
Gefühl für dekorative farbige Flächenkunst, für Linienwirkung und Hintergrundbehand-
lung äußert. Die alles zusammenschweißende
Gewalt muß die feurige künstlerische Durch--
dringung des Menschen und der Natur bringen. Einzig danmist es möglich, mit den Formen
der Umwelt so souverän zugunsten eines inneren Erlebens und Vorstellens zuschalten, daß der
Schöpfer das Werk abhängig machen kann von freiwillig aufsich genommenen, einschränken-
den äußeren und inneren Bedingungen Dies kann wiederum nur dann erfolgen, wenn in
Znhalt der Monumentalmalerei.
1588