Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
XlI. Buch. Malerei und Plastik. 57 
  
demschaffenden Künstler Zdeen wiederklingen, an denen das ganze Volk mitgearbeitet hat. 
Der Monumentalmaler muß vor allen andern imstande sein, das Ohr an das Herz seines 
Volkes zu legen, um dessen starke Töne unmittelbar zuvernehmen. Aber weder die deutsche 
Mythologie, noch die antike Götter-- oder Heroensage, noch die Großtaten einzelner Völker- 
stämme oder Männer längst versunkener Tage besitzen die Macht, im Künstler den Schöpfer 
erstehen zulassen, der zu seinem Werke spricht: „Werde“. Ich will damit nicht in Abrede ge- 
stellt haben, daß injenen Uberlieferungen, namentlich in der Mythenwelt, höchste Mensch- 
beitswerte ruhen, welche der Versinnbildlichung in jeder Hinsicht würdig sind; aber sie sind 
bereits gefestigtes Eigentum unserer Kultur geworden, nicht von dem starken Atemzuge aus 
unseres lebenden Volkes Brust durchweht. Und große Helden vergangener Zeiten können 
wir immer nur gleich dem Geiste unserer eigenen Gegenwart schildern. Der darstellende 
Künstler mußin solchen Fällen trotz aller persönlichen Begeisterung zum Zllustrator werden, 
und ein solcher ist niemals, selbst nicht in der Vollkommenheit, Herr der Monumentalität. 
Die-große Zeit von 1870 hatte allerdings eine Keihe von bedeutenden, auch im äußeren 
Umfange hervorragenden Bildern gebracht, die als Spiegel und Chronik dieser gewaltigen 
Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung gelten müssen. Aber Persönlichkeiten wie 
Handlungen sind zu sehr gesättigt von den Zmpulsen der Gegenwart. Die Künstler 
waren gezwungen, auf dem Stande des Schilderers von Begebenheiten stehenzubleiben. 
Wir bedürfen, um zu einer in sich kernhaften Monumentalmalerei zu gelangen, großer 
vaterländischer Ideale, wie es die Kaiseridee gewesen ist, die ja als treibende Kraft in 
der ganzen profangeschichtlichen Historienmalerei des 19. Jahrhunderts gewirkt hat, 
aber einen unmittelbaren Ausdruck nicht hatte finden können. Wir brauchen also macht- 
volle, allseitig bewegende Zdeen. Ob hier das „größere“ Oeutschland, wie es sich in 
diesen 25 Jahren unter Kaiser Wilhelm ll. entfaltet hat, mit den gewaltigen Erinnerungen 
an das letzte Jahrhundert, mit seinem überall erhöhten ISchbewußtsein, mit allen seinen 
zutage tretenden und noch halb verborgenen Aspirationen auf Weltstellung die befruch- 
tende Kraft sein wird? Das unverkennbar immer stärker emporwachsende Bedürfnis 
nach Monumentalmalerei kräftigt solche Meinung; allerdings kämpft unsere Zeit be- 
sonders schwer um den Grundsatz, alle Kunst ist Sombol, da sie im tiefsten Herzen natura- 
listisch ist. Sie predigt, daß alle Kunst nur Sehen ist, während die Monumentalkunst 
alles Sein in eine zeitlose Sphäre entrücken, vom Alltage befreien muß. 
Wenn nicht alles täuscht, möchte ich nochmals aussprechen, ist also unsere lebende 
Stunde im Begriff, für die neuzeitlichen Lebensgefühle in unserem Baterlande einen Aus- 
druck in der Monumentalmalerei zu finden, welcher dem zwar realistisch gewandten, aber 
trotzdem von hohen weltbeherrschenden Idealen erfüllten Sollen unserer Tage entspricht. 
Unsere Wandmalerei ist offensichtlich bestrebt, einerseits aus dem unmittelbar Ange- 
schauten, nicht aus einer mittels gelehrter Studien gewonnenen Welt ihren Stoff zu 
nehmen, andrerseits gewillt, der gestaltenden Phantasie, der Gefühlswelt ihr Recht 
ungeschmälert zu lassen. Diese frohe Hoffnung und Erwartung, daß unsere Maler einst- 
mals als die Verkünder vorwärtsdrängender Sdeale im deutschen Volke erkannt werden, 
erhält eine Stärkung durch das gleichartige Schaffen auf dem Gebiet der Schwester- 
kunst, der Bildhauerei. 
1589
	        
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