XI. Buch. Theater. 93
gleichfalls von ihm versuchten Tätigkeit, die großen sozialen Kämpfe der neuesten Zeit
vorzuführen.
Noch grimmigeren Haß als Lubliner häufte Paul Lindau auf sich, dem es so ging
wie dem alten Tieck, der auch aus einem wilden Revolutionskämpfer ein zahmer Rück-
schrittler geworden war.
Lindaus Hauptdramen gehören einer früheren Zeit an. Er wollte das deutsche Sitten-
stück an die Stelle des französischen setzen, brachte es aber, wie Fontane sich einmal aus-
drückte, nur zu furchtsamen Tendenzstücken von der milderen Observanz. In unserer
Epoche beschränkt er sich auf Romancschriftstellerei und Theaterleitung; als Dramatiker
war er bemüht, gegen die neue Schule aufzutreten, die ihn rücksichtslos angegriffen
hatte (sein Drama „Die Sonne“, 1891). Adolf Wilbrandt, gleichfalls einer früheren
Epoche zuzurechnen, hat doch noch 1889 in seinem „Meister von Palmpyra“ ein schönes
und kräftiges Werk geschrieben, das, durch die trefflichen Künstler des Burgtheaters unter-
stützt, große Wirkungen erzielte.
Paul Heupse endlich, dessen wunderbare Novellen in höherem Grade als seine
NRomane hoffentlich den Sturm mancher Neuen und Aeusten überdauern wird, ist als
Dramatiker niemals glücklich gewesen. Bei aller Verehrung, die er als Persönlichkeit,
als Dichter genoß und genießt, darf man es aussprechen, daß ihm trotz allen Eifers, mit
dem er auf der Bühne um die Siegespalme rang, ein wirklich großer Erfolg mit Recht
niemals zuteil wurde. Außer einigen wenigen historischen Stücken kann sich keines seiner
Dramen auf der Bühne halten.
Ernst v. Wildenbruch. Dagegen rettete Ernst v. Wildenbruch seinen jungen
Ruhm in die neue Zeit hinein. Um Wildenbruch vollkommen
zu würdigen, muß man ihn gehört haben. Wie er vor den Studenten stand und seine
Dramen vorlas, vielleicht nicht mit höchster Kunst, aber mit echter jugendlicher Begeiste-
rung, wie er schmetterte und drohte, säuselte und milde redete, das waren unvergeßliche
Augenblicke. Es lag etwas Prophetisches in seinem Auftreten und etwas Heldenartiges
in seinem ganzen Wesen. Am 11. November 1888 wurden seine „Quitzowms“ aufgeführt,
dem die ähnlichen Stücke „Der Generalfeldoberst“, „Heinrich und Heinrichs Ge-
schlecht“, „Opfer um Opfer“ und andere folgten. Ourch alle diese weht der heiße
Atem des Patriotismus, mehr des preußischen als des deutschen. Es erschien wie ein Auf-
wallen des Hohenzollernblutes, das in seinen Adern rollte. Leider kam es aber im Laufe
der Zeit zu stets lauter tönenden, aber innerlich unwahren Phrasen, das Wort trat an die
Stelle der Handlung; so wie er sich von seinen Brandenburgern trennte, entfernte sich
auch die Muse von ihm. Sobald er sein eigentliches Gebiet verließ, tastete er unsicher um-
her; das moderne Lustspiel mißlang ihm nicht geradezu, erhob sich jedoch nicht über das
gewöhnliche („Die Haubenlerche"“). Das Versenken in fremde Zeiten bewies eben-
sowohl Unkenntnis der Zeit, wie Unfähigkeit zu ihrer Gestaltung („Die Tochter des
Erasmus“). Gewählte Sprache konnte für das Schiefe in der Charakteristik, das Leere
in der Handlung nicht entschädigen. Mochte man dem Verfasser auch verzeihen, daß er
den lieblosen und zur Liebe unfähigen großen Schriftsteller der Reformation zum Lieben-
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