Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
104 Theater. XI. Buch. 
und zu dem sie selbst die mächtige Leidenschaft zu besitzen wähnt, vermutlich nur für 
wenige Monate, bis die Ernüchterung dem Rausch gefolgt ist. Er hat keinen Respekt 
für bistorische Größe, und selbst Napoleon, der uns zwar nicht als Heros zu erscheinen 
braucht, der aber doch niemals ein Narr war, muß sich in „Josephine"“ gefallen lassen, 
als unsinnig Verliebter, als Theaternarr, zu erscheinen. Am amüsantesten ist er, wenn er 
auf Wiener Boden bleibt und am wahrsten, wenn er seine Personen aus Künstler- und 
Theaterkreisen wählt, wobei die Vertrauten wohl leicht die Modelle erkennen, nach denen 
er gearbeitet hat. So versteht er es meisterlich im „Konzert“" den nervösen, hochbegabten, 
durch Frauenhuld verwöhnten Künstler zu kopieren, der, unter dem Vorgeben von Künst- 
lerreisen Wanderungen ins Reich der freien Liebe unternimmt, der eine reizende, nur 
allzu nachsichtige Frau durch eine willige, an wirklichen Vorzügen neben seiner Gattin 
zurückstehende Nebenbuhlerin zu täuschen unternimmt und sich schließlich geduldig und 
scheinbar freudig ins Ehejoch zurückführen läßt, um sich gewiß bald genug wieder dagegen 
aufzubäumen. 
Diese Wiener Dramatiker mußten uns hier beschäftigen, da von Heimatskunst, 
von der genauen Fixrierung und der plastischen Darstellung der Ortlichkeit die Rede war. 
Als drittes aber ist das zu erwähnen, was ich „Erdgeruch“ nannte. 
Erdgeruch. Was ich aber eigentlich unter „Erdgeruch“ verstehe, das ist das Sym- 
— bolisieren der Erde als einer geheimnisvollen Macht, die dem Menschen 
seine Kraft verleiht. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Modernisierung der Sage 
vom Riesen Antäus, und doch liegt in so manchem Stück der Gedanke, daß der Mensch 
mit dem Boden fest verwachsen ist, aus dem er stammt, sich von ihm durchaus nicht trennen 
will, weil er durch den Verlust seiner Heimat sein eigentliches Wesen einbüßt. 
K. Schönherr. Als Beispiel solchen Anklammerns an den Erdboden diene Karl 
Schönherr. Karl Schönherr wurzelt fest auf der Erde, auf dem 
Boden seiner österreichischen Heimat. Das Gefühl für die Heimat wurde am echtesten 
in dem Drama „Glaube und Heimat“ ausgedrückt: die wegen ihres Glaubens Be- 
drängten wollen lange von ihrer Heimat nicht lassen, bis die Stärke des religiösen Gefühls 
die Anhänglichkeit an den angestammten Boden besiegt; wundervolle Charaktere alter 
und junger Protestanten, rauher Krieger, Schergen der öffentlichen Gewalt, innige 
Betätigung echtesten Familiengefühls machen dieses Drama zu einem ergreifenden 
Zeitbilde. Desselben Dichters „Erde. Eine Komödie des Lebens“ schildert die 
Bodenbeständigkeit eines unverwüstlichen Bauern Grutz, der, fast dem Tode nahe, sich 
wieder kräftigt, eine schreckliche Tyrannei gegen seinen fast 50jährigen Sohn Andres 
ausübt, der, so gern er auch heiraten möchte, Knecht bleiben muß und gezwungen ist, 
die Wirtschafterin Mena, obgleich er in innigsten Beziehungen zu ihr gelebt, zu einem 
alten Erdhofbauer ziehen zu lassen, der mit seinen drei Buben auf einem einsamen 
Hofe lebt. Das Bauernleben mit seiner Derbheit und Urwüchsigkeit wird hier geschildert, 
das leidenschaftliche Kleben des alternden Sohnes an der Scholle, die ihm lieb bleibt, 
wenn sie ihn auch zur Unterwürfigkeit und Unselbständigkeit verdammt. 
  
1636
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.