32 Das öffentliche Leben. XII. Buch.
die Sache freilich am verkehrten oberen Ende angefangen und darüber versäumt, erst
einmal zu dieser höheren Bildung den Grund zu legen und den Mädchen die nötige
Vorbildung zu schaffen. Aber taktisch war es vielleicht doch richtig: wenn das Höchste
erreicht war, mußte das Niedere nachkommen; und wirklich schritt man, nachdem man
eine Zeitlang die Frauen sich privatim auf das Universitätsstudium hatte vorbereiten lassen,
bald genug zur Gründung von Mädchengymnasien oder erlaubte ihnen den Besuch der
höheren Knabenschulen (Koedukation). 1900 hat Baden Frauen mit Abiturientenzeugnis
zur vollen Immatrikulation zugelassen, anderswo wurden sie wenigstens als Hörerinnen
geduldet; aber schon 1908 war es erreicht, daß auf allen deutschen Universitäten Frauen
mit dem Zeugnis der Reife das volle akademische Bürgerrecht gewährt wurde; und die
Mädchenschulreform in Preußen vom Jahre 1908 rief dann für Mädchen, die studieren
wollten, die Studienanstalten ins Leben, die sie darauf vorzubereiten haben, während die
kleineren Staaten daneben an der Koedukation festhalten, so daß nun überall für die
nötige Vorbildung gesorgt ist. Ob dabei der weiblichen Eigenart immer auch genügend
Rechnung getragen oder diese Vorbildung nicht der der mänmlichen Zugend allzu gleich-
artig, nicht bloß gleichwertig gestaltet ist und was die studierenden Frauen wissenschaft-
lich leisten, das muß sich erst noch herausstellen. Großer Fleiß, großer Ehrgeiz und mehr
Rezeptivität als selbständiges Denken treten uns einstweilen unverkennbar bei Gym-
nasiastinnen und Studentinnen entgegen.
Das Problem ist aber heute viel mehr schon einen Schritt weiter, es ist das, was aus
diesen studierenden Frauen werden soll? Verständnisvolle Genossinnen und gleich-
strebende Mitarbeiterinnen ihrer Männer und hochstehende Erzieherinnen ihrer Kinder,
habe ich schon gesagt, und das wird immer noch die beste Lösung sein und wird der Ehe
eine solidere Grundlage geben als das bloße Kennenlernen im Tanzsaal oder auf den
Lawutennisplätzen. Allein abgesehen von der Uberzahl der Frauen und der egoistischen
Scheu vieler junger Männer, einen Hausstand zu gründen — die notwendige Konsequenz
des Frauenstudiums und die ausdrückliche Absicht derer, die dafür gekämpft haben, ist es
jedenfalls, daß die, die die gleichen Studien wie die Männer gemacht und die gleichen
Prüfungen abgelegt haben, ihre Kenntnisse auch beruflich verwerten wollen. In zwei
Fakultäten ist ihnen das bereits gelungen: die Frau kann Arztin und sie kann Ober--
lehrerin werden. ODas erstere ist für Frauen- und Kinderkrankheiten ein Gewinn, das
andere einfach die Fortsetzung dessen, was lange schon da war: Volksschullehrerin, Leh-
rerin an höheren Töchterschulen — da ist die Oberlehrerin an der Studienanstalt oder an
den Lpzeen nur die oberste Sprosse der Leiter, die bisher noch gefehlt hat. Auch das Amt
des Geistlichen wird ihr — wenigstens in den protestantischen Kirchen — auf die Dauer
kaum verschlossen bleiben können, da ja gerade die Pflege des Religiösen den Frauen be-
sonders am Herzen und obliegt. Daß die Frau auch als Advokat ihren Mann stellen kann,
wissen wir schon von Shakespeares Porzia her; bei den Zugendgerichten jedenfalls können
Juristinnen gute Dienste tun. Doch wird gerade hier die Angst vor der Konkurrenz Schwie-
rigkeiten und Hemmungen schaffen; denkt man doch selbst bei den Männern an einen
numerus clausus für die Advokatur. Dagegen glaube ich nicht, daß es der Natur der
Frau und noch weniger, daß es der germanischen Auffassung entspricht, die sie ja trotz ihrer
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