X. Buch. Oie Chemie. 157
Sauerstoff. Seit Aufstellung der Valenztheorie wurde dem Sauerstoff bis in die
neueste Zeit stets eine konstante Wertigkeit zugeschrieben. Die Eng-
länder Collie und Tickle sprachen 1899 zuerst die Ansicht aus, daß in einer Reihe additio-
neller organischer sauerstoffhaltiger Verbindungen mit Säuren sich dieser eben so vierwertig
verhalte wie der Stickstoff in den Ammoniumsalzen fünfwertig. Sie bezeichneten daher
diese Substanzen als Oxoniumsalze. A. v. Bae per und Villiger entwickelten die Oxo-
niumtheorie ausführlicher und suchten sie durch eine große Zahl neuer Beobachtungen
fester zu begründen. Neben die alte ringförmige Formel des Ozons trat eine neue, in
der ein vierwertiges mit zwei zweiwertigen Sauerstoffatomen in Bindung steht. Seit
1903 beschäftigt sich Harries mit der Einwirkung von Ozon auf ungesättigte Kohlen--
stoffverbindungen. Zur Darstellung eines 11—14 % ozonhaltigen Sauerstoffs bedient
er sich eines neuen sehr wirksamen Ozonisators der Firma Siemens und Halske.
Tammann, der die Eisbildung bei niederen
Wesler, Walerstollluperoz?), epweeraturen bis —1800 und einem bie
4000 Atmosphären gesteigerten Druck untersuchte, fand zwei weitere Arten von Eis auf,
die dichter als Wasser sind. Wolffenstein lehrte 1896 reines Wasserstoffsuperoryd durch
Oestillation unter vermindertem Druck bereiten; es siedet unter 256 mm Quecksilberdruck
bei + 69° und wird bei — 27 fest.
Schwefelwasserstoffe und andere
Schwefelverbindungen.
Wir gehen zu den Verbindungen des Schwe-
fels über. Aus dem rohen Hypdropoly-
sulfid gelang es 1908 Ignaz Bloch und
Fritz Höhn durch fraktionierte Destillation unter vermindertem Druck Hydrodisulfid
und Hydrotrisulfid rein zu gewinnen. Moissan und Lebeau entdeckten 1900 das bei
gewöhnlicher Temperatur gasförmige, auffallend beständige Schwefelherafluorid, das
eine neue Stütze für die maximale Sechswertigkeit des Schwefels darstellt. Das 1898 ein-
gerichtete Kontaktverfahren zur Gewinnung von Schwefelsäureanhydrid verdankt man
einer Jahre lang fortgesetzten mustergültigen Experimentalarbeit von N. Knietsch,
einem Chemiker der Badischen Anilin- und Sodafabrik, über die Bildungs- und Spaltungs-
grenzen von Schwefeltrioxyd. Festes hydroschwefligsaures Natrium, das als Reduktions-
mittel für Fndigo und andere Küpenfarbstoffe, sowie als A#tzmittel für Azofarbstoffe große
technische Bedeutung besitzt, lehrten August Bernthsen und Bazlen bereiten. Auf
Grund seiner Untersuchungen faßt Binz die hydroschweflige Säure als gemischtes Anhy-
drid der schwefligen Säure und der hypothetischen Sulforplsäure auf. H. Caro entdeckte
1898 durch Einwirkung von Schwefelsäure auf überschwefelsaure Salze die Sulfomono-
persäure. A. v. Baeyer und Villiger erhielten sie 1899 durch Oxpdation von Schwefel-
säure mit Wasserstoffsuperoxyd und erkannten in ihr ein eigenartig wirkendes Ozpdations-
mittel für manche Klassen organischer Substanzen. Schon 1895 hatte H. Klinger auf
die Möglichkeit des Bestehens der Caroschen Säure hingewiesen. Das Sulfamid lehrte
W. Traube 1893 kennen.
Stiastoffwasserstoffe. Überraschende Entdeckungen förderten die Stickstoff-
chemie. Haber gelang die Synthese des Ammoniaks
aus freiem Stickstoff und freiem Wasserstoff unter Vermittlung fein zerteilten Eisens bei
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