— 128 —
Durchgang. Für den Schleppbetrieb waren außerdem auch drei
große Schleusen nötig.
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde der Plan eines
unmittelbaren Durchstiches zwischen Nord= und Ostsee wieder
angeregt, aber es blieb bei verschiedenen Plänen und Kosten-
berechrungen. Mit der Aufrichtung des Deutschen Reiches trat auch
die Kanalfrage wieder auf, und nachdem der Landtag und der
Reichstag die Mittel bewilligt hatte, konnte Kaiser Wilhelm der
Große am 3. Juni 1887 durch Legung des Grundsteines an der
Lalteriu Schleuse das große nationale Werk beginnen. Acht volle
ahre hat der Bau in Anspruch genommen. Millionen von Kubik-
metern Erde mußten bewegt werden, Arbeiter aus aller Herren
Länder haben an dem Bau geholfen. Der Kanal ist der zweitgrößte
der Erde und hat eine Länge von 98,65 km und eine durchschnselitte
Tiefe von 9 m. Die größten Schlacht= und Handelsschiffe können
ihn befahren. Mehrere „Ausweichen“ gestatten den größten Schiffen,
aneinander vorbeizufahren. Der Kanal beginnt bei Brunsbüttel
an der Nordsee und endet bei Holtenau an der Ostsee. Wo der
Kanal die Landstraßen schteide, sind Hochbrücken erbaut. Die
Levensauer Hochbrücke ist die größte Bogenbrücke der Welt; sie
erhebt sich 42 m über dem Wasserspiegel, so daß die größten Schiffe
mit vollem Takelwerke hindurchfahren können.
Der Kaiser-Wilhelm-Kanal kürzt den Seeweg zwischen Nord-
und Ostsee und läßt die Gefahren vermeiden, denen früher die
Schiffe bei einer Fahrt um Skagen ausgesetzt waren. Die Zeit-
ersparnis ist von hoher wirtschaftlicher Bedeutung und wird dem
Verkehr zwischen den Häfen immer mehr einen unzweifelhaften
Ausfschwung geben und für Handel und Industrie einen großen
Einfluß haben.
Einen hohen Wert hat der Kanal für Deutschland auch in strate-
gischer Beziehung. Die Flotten der OÖst= und Nordsee waren früher
durch die halbin el Jütland getrennt, heute ist dieser Ubelstand
beseitigt. Außerhalb des Machtbereiches eines etwaigen Feindes
kann sich die deutsche Flotte in kurzer Feit vereinigen, ohne dabei
die dänischen Gewässer zu passieren. ill ein Gegner jetzt gegen
uns zur See kämpfen, 40% muß er schon unserer ganzen Flotte
gewachsen sein; eine Blockade der deutschen Küste ist jetzt unmöglich.
Durch elgolands Erwerbung hat der Kaiser-Wilhelm-Kanal
noch mehr an Wert gewonnen. Durch diesen Stützpunkt und durch
den Kanal ist Deutschland viel besser gegen die Angriffe feindlicher
Schiffe geschützt als früher.
Der Kaiser-Wilhelm-Kanal kommt allen seefahrenden Nationen
ugute. Darum beteiligten sie sich auch alle an der feierlichen
röffnung, die am 21. Juni 1895 stattfand. sreizepn fremde
Völker waren mit 53 Schiffen vertreten; zu diesen gesellten sich
26 Schiffe der deutschen Flotte. Die Menge der sestlich geschmückten
Fahrzeuge bot einen großartigen Anblick und legte Zeugnis ab von
der Wichtigkeit, die man diesem Weiheakte in der ganzen gebildeten
Welt beilegte. Jedem Deutschen muß das Herz höher schlagen bei
dem Gedanken an die glückliche Vollendung dieses Werkes, das dem
deutschen Namen Ruhm und Ehre gebracht hat.