Full text: 180 deutsche Musteraufsätze.

– 238 — 
145. Klein ist die Wiege alles Großen. 
Gedankengang: 
1. Einleitung. Die Natur ist gewissermaßen ein Abbild des mensch- 
lichen Lebens. Alles ist dort anfangs klein, so Pflanzen, Bäche 
Tiere und alle Geschofe Ebenso ist es auch mit dem mensch- 
lichen Geiste, daher: „Klein ist die Wiege alles Großen.“ 
II. Ausführung: 
1. So Kenntnisse, Gedanken, Wille, Erfindungen. 
2. Dieser Gedanke treibt uns an: 
a) Unsere Lebenszeit richtig zu gebrauchen. 
b) Unter allen Umständen freudig zu hoffen. 
III. Beispiel von Demosthenes. 
Ausführung: 
Die Natur ist gewissermaßen ein Abbild des menschlichen Lebens. 
Alles ist darin anfangs klein. Die Pflanzen keimen unter der Erde 
und niemand achtet auf sie. Doch bald durchbrechen sie die Erdrinde 
und streben in die Höhe. Oft wachsen sie zu mächtigen Bäumen heran, 
die mit ihrem Blätterdache die Umgebung beschatten und stolz auf 
ihre Umgebung herabschauen. Ebenso der Bach, dessen Quell im 
Gebirge entspringt. Anfangs plätschert er ruhig, doch bald wächst 
er mehr und mehr und stürzt endlich donnernd ins Tal hinab, alles 
mit sich führend, was sich seinem Laufe entgegenstellt. Doch bald 
beendet er seinen Lauf in einem größeren Strome. Das Tier 
gleicht ihm; denn nach seiner Geburt liegt es meist hilflos und 
schwach da, muß von seiner Mutter ernährt und von seinem Vater 
beschützt werden. Doch nach und nach wird es kräftig, lernt sich 
selbst beschützen und verläßt das heimische Lager. Wie es nun in 
der Natur ist, so ist es auch beim menschlichen Geiste; daher sagt 
der Dichter: „Klein ist die Wiege alles Großen.“ 
Der menschliche Geist, das schönste und wertvollste, was der 
Mensch besitzt, der ihn vor allen anderen Geschöpfen hervorhebt und 
ihm den ersten Platz in der Schöpfung einnehmen läßt, entwickelt 
sich erst allmählich. Die Kenntnisse der Menschen sind anfangs 
schwach und gering; doch je mehr sich der Körper ausbildet, desto 
mehr gewinnen auch die Kenntnisse an Umfang. Die Gedanken 
eines Kindes erstrecken sich nur auf ein sehr kleines Gebiet. Doch 
erweitert sich dieses allmählich mehr und mehr, und die Phantasie 
fördert den menschlichen Gedankenflug. Doch mit dem zunehmenden 
Alter läßt die Schärfe des Geistes wieder nach. Ebenso der Wille. Die 
Jugend kennt die eigentliche Bedeutung des Wortes meistens nicht. 
Die Kinder werden, wenn ihr Vorhaben keinen günstigen Erfolg 
hat, leicht unwillig und geben es auf. Doch der herangereifte 
Mann nimmt es mit dem Willen nicht so leicht, er führt seine Vor- 
sätze aus. Auch denkt er nicht wie die Jugend nur an den Gebrauch 
des schon Vorhandenen, sondern sein Wille strebt höher hinaus. 
Er sucht neues zu erfinden; denn es heißt nach dem Dichter: „Es 
kämpft der Mann, und alles will er wagen.“
	        
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